3. Etappe Zillertal Bike Challenge 2016 – Grande Finale am Tuxer Fernerhaus

Der Tag beginnt so mittelgut. Die Nacht viel zu kurz wegen des deutsch-italienischen Elfmeterschießens, meine Allergie schlägt beim Aufwachen voll zu und beim Frühstück bin ich auch zu spät. Das absolute Highlight kommt aber erst, als ich mein Bike ins Auto schlichte: aus unerfindlichen Gründen schraube ich beim Vorderradausbau so lang am Schnellspanner, bis die Kontermutter runtergeht. Ich lege sie gedankenverloren neben mich auf den Boden und packe weiter gemütlich ein. Erst auf dem halben Weg zum Start in Mayrhofen triffts mich: DIE SCHNELLSPANNERMUTTER! Verdammt.

Also wieder umgedreht und im Eiltempo zurĂĽck nach Zell am Ziller. Und da, auf dem Parkplatz liegt das kleine MiststĂĽck und ist noch heile, denn ich bin nicht einmal drĂĽbergefahren, womit ich eigentlich felsenfest gerechnet hatte. Gibt es sowas wie Dummen-Dusel? Wenn ja: das hab ich.

Als ich dann endlich und viel zu spät in Mayrhofen einfahre, verstecken sich alle Parkplätze und meine Laune geht langsam in den kritisch roten Bereich. Vielleicht fahre ich einfach gleich nach Hause, das bringt doch alles nix.

Ha! Nein! Da ist die LĂĽcke! Also reingeparkt, aus dem Auto gesprungen, das Rad zusammengeschmissen und auf zum Start, der in etwas mehr als ZEHN MINUTEN erfolgen wird – Moment, in welcher Richtung ist der noch gleich? Ahja, da hör ich was, da fahr ich hin, da bin ich richtig.

Gerade noch rechtzeitig am Start! Zillertal Mountain Challenge
Gerade noch rechtzeitig am Start!

Den immer freundlichen Damen von der Orga werfe ich meinen Gepäcktransportbeutel zu und reihe mich schwer atmend in die Startaufstellung ein. FĂĽr einen FrĂĽhstĂĽcks-Almdudler reicht es nicht mehr, aber ah, da steht schon Michele und grinst mich breit an: „Du schau, die Mädels da vorne, die ĂĽberholen wir heute!“ Schweizer Dialekt hebt die Laune, das ist ein Naturgesetz. Mir gehts auch gleich wieder viel besser.

Startschuss – es kann losgehen!

Noch einmal tief durchatmen und schon gehts los, nach dem Startschuss erst einmal wieder Richtung Gondel. Diesmal ist es die Penkenbahn, in die wir gleich nach einem neutralisierten Kilometer einsteigen dürfen. Drin gibt es erst einmal große Diskussionen, wer wie viel zum Anziehen dabei hat. Denn wir werden heute im Ziel 2600 Höhenmeter erreichen und schon tausend Meter tiefer in Hintertux soll es nur 8 Grad haben. Brrr.

Nach dem Ausstieg aus der Penkenbahn beginnt die Zeitmessung.
Nach dem Ausstieg aus der Penkenbahn beginnt die Zeitmessung.

Auf 1800 Meter spuckt uns die Penkenbahn an der Bergstation wieder aus. Huh, schon frisch hier oben! Ich bin froh um mein Trikot mit den langen Ärmeln, das ich in weiser Voraussicht heute früh noch mit der Startnummer benadelt habe. Es geht recht entspannt hinauf bis zum Penkenjoch, das ist der erste Gipfel des Tages, den wir nach gerade einmal 250 Höhenmeter erreichen. Nur zwischendrin kommt mal kurz Hektik auf. Plötzlich höre ich nämlich, wie ein Schotterfahrgeräusch hinter mir sehr schnell näherkommt. Ist es ein Flugzeug? Ist es ein Raumschiff? Nein! Es ist die Spitzengruppe der Kings rund um den späteren Gesamtsieger Markus Kaufmann, die mit einem Affenzahn an mir vorbeischießt. Wohlgemerkt mussten die den Berg bereits ganz ohne Gondel bewältigen. Schon so ein bisschen fit, die Jungs.

 

 Ein Flugzeug? Ein Raumschiff? Nein, nur die Spitzengruppe der Kings!
Ein Flugzeug? Ein Raumschiff? Nein, nur die Spitzengruppe der Kings!

Da ich es glĂĽcklicherweise gemĂĽtlicher angehen kann, lege ich bei der ersten Verpflegung am Penkenjoch nach doch schon beachtlichen fast 6 gefahrenen Kilometern erst einmal eine FrĂĽhstĂĽckspause ein. Man soll ja nix ĂĽbertreiben und schlieĂźlich liegt das Grande Finale noch vor uns. Aber zunächst steht nach einer kurzen Abfahrt noch die Wanglalm an – bzw. der Aufstieg dorthin. Zwei Mal geht es ganz böse auf lockerem Schotter hoch, die wenigsten schaffen es kurbelnd hinauf. Boah, dieses Schieben ist ja mal heftig anstrengend! Ich ahne, dass das erst der Vorgeschmack auf den SpaĂź in Hintertux ist…

 

Hier ging es los mit der Schieberei.
Hier ging es los mit der Schieberei.

Schiebend und heftig schnaufend oben an der Wanglalm angekommen, geht es jetzt erst einmal lange bergab in schönen Serpentinen. Die Kurven sind etwas tricky, da öfter mal größere Steine darin lauern, aber alles in allem ist die Abfahrt gut machbar. Nur der Stacheldraht, der neben so manch enger Kurve wartet, macht mich etwas nervös. Aber in meinem ganz eigenen Schneckentempo komme ich gut durch und stehe auch nur manchmal im Weg rum.

Schöne, aber nicht ganz einfache Abfahrt von der Wanglalm.
Schöne, aber nicht ganz einfache Abfahrt von der Wanglalm.

 

Ich bin fast unten angekommen, da kommt mir ein Krankenwagen mit Sirene entgegen. Schon ein sehr blödes GefĂĽhl… ich wĂĽnsche ans Universum, dass da nichts passiert ist und setze meine Bremserei nach unten fort.

Wenn Du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo die Gondel her

Ha, da ist auch schon wieder Zivilisation erkennbar! Ich erreiche Vorderlanersbach und muss erst einmal meine Windjacke herunterreiĂźen, die ich mir fĂĽr die Abfahrt ĂĽbergestreift habe. Ein paar Meter bergauf und schon gibts Hitzestau. Das ändert sich auch in den nächsten knapp zehn Kilometern nicht – die StraĂźe nach Hintertux ist zwar nicht steil, aber die 200 Höhenmeter knapsen doch stetig an den kaum vorhandenen Kräften. Es scheint sich endlos zu ziehen…

 

Das zieht sich von Vorderlanersbach nach Hintertux!
Das zieht sich von Vorderlanersbach nach Hintertux!

 

Aber wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo die Gondel her! Der Gletscherbus 1, die Bergbahn Richtung Hintertuxer Gletscher, ist bereits von weitem erkennbar und ich kann jetzt doch gar nicht glauben, dass ich es schon bis hier geschafft habe.

Um Euch adäquat berichten zu können, bleibe ich natürlich auch an der Verpflegungsstation am Gletscherbus stehen. Testurteil sehr gut! Nur mit diesen Gel-Drinks kann ich mich nicht anfreunden. Aber es gibt glücklicherweise genügend kalorienreiche Alternativen, die ich mir natürlich fast alle zu Forschungszwecken genehmige.

Alles zu Forschungszwecken getestet!
Alles zu Forschungszwecken getestet!

 

Na gut, eigentlich hat es einen anderen Grund. Denn ich habe Angst. GroĂźe Angst. Erika aus den Niederlanden hat mal wieder gewarnt vor dem Schlussanstieg, und sie hatte bisher immer recht (siehe Etappe 1 und 2). Ich fragte tags zuvor ganz unschuldig, ob denn der Weg gut zu fahren sei und erntete nur höhnisches Gelächter von ihr und den anderen erfahrenen Bike Challengern. „Gut zu schieben ist er vielleicht – wobei, nicht mal das!“

Deshalb bin ich auch in der Gondel ziemlich angespannt. Die zugegeben beeindruckende Aussicht kann ich kaum genieĂźen, weil mein Puls vor Aufregung schon mal präventiv Kapriolen schlägt. Beim Ausstieg auf 2100 Meter bei der Sommerbergalm ruft mir einer der Helfer zu: „Nach Dir kommt noch eine, Du bisch die vorletzte Frau!“. Na toll. Jetzt hat er meinen Ehrgeiz gekitzelt, als ob ich das auch noch brauchen wĂĽrde. Verpflegungsstationennutzer werden hier eindeutig diskriminert, ich bin fĂĽr verpflichtende Stopps! Aber jetzt muss ich halt auf dem Rad meine Essenspausen aufholen.

Der Blick nach unten, jetzt gehts los.
Der Blick nach unten, jetzt gehts los.

 

Extreme Schiebung

Ich versuche, den Anstieg gemächlich anzugehen, trotzdem habe ich nach kurzer Zeit schon zwei Damen eingeholt (Harhar). In den Kurven über mir wird schon fleißig geschoben und bald merke ich auch, warum. Der Schotter wird loser und der Weg immer steiler. Kurz bevor ich platze, klicke ich trotz bester Vorsätze doch aus und schiebe ein paar Meter hoch. Den nächsten Kilometer wechsele ich zwischen schiebender und fahrender Fortbewegung, von der Geschwindigkeit her macht es bei dieser Steilheit ohnehin kaum Unterschied.

Fahren oder Schieben? Macht eigentlich keinen Unterschied...
Fahren oder Schieben? Macht eigentlich keinen Unterschied…

 

Ich versuche einfach, ständig in Bewegung zu bleiben, obwohl es langsam echt zäh wird. Die kurzen Verschnaufpausen werden unwillkĂĽrlich immer länger, trotzdem hole ich irgendwie immer mehr Teilnehmer ein. Der Blick nach unten ist beeindruckend, der Blick nach oben wird immer weiĂźer – jaha, das sind Wolken, durch die wir nachher durch mĂĽssen und am Wegesrand tauchen immer mehr Gletscherfelder auf.

Einer der tapferen Mitstreiter meint, dass es gar nicht mehr so weit sei. Nur noch ein paar steile Kurven und dann wird es besser. Tja, entweder er lügt, er versucht sich selbst zu beruhigen oder sein Adrenalin hat ihm letztes Jahr einen gehörigen Streich gespielt: Nix wird besser! Es wird einfach nur immer immer immer steiler und hört nie auf.

Flacher wirds nicht mehr.
Flacher wirds nicht mehr.

 

Die geschätzt drei letzten Kilometer schiebe ich fast komplett. Ich wüsste nicht einmal, wie ich bei dieser Steigung aufs Rad kommen sollte. Die fitten Kings und Queens, die uns nach und nach überholen, schaffen den unteren Teil des Anstiegs noch angestrengt kurbelnd, weiter oben werden auch sie meist zu Wanderern. Irgendwann hole ich Erika und Michele ein. Wir wechseln nur ein zwei müde Aufmunterungen, für mehr ist einfach keine Luft da.

Dass Schieben so weh tun kann! Ich bin langsam verzweifelt. Die Wolken haben mich inzwischen komplett eingehüllt. Ich sehe vielleicht 40 Meter vor und zurück. Ich erwäge noch, mich einfach an Ort und Stelle hinzulegen und auf den Erschöpfungstod zu warten, aber irgendwann muss doch dieses Fernerhaus kommen! Aber es kommt nicht. Und kommt nicht. Haben wir alle irgendwo eine Abzweigung verpasst? Nein, da ist ein Pfeil, wir sind richtig. Aah!

Welcome to the cloud.
Welcome to the cloud.

 

Ein Teilnehmer kommt entgegen. Der sieht fit aus, der war bestimmt schon im Ziel! „Wie weit noch? Ist es noch weit? Bitte sag, dass es nicht mehr weit ist“. Er sieht mich mitleidig an. „So 500 Meter.“ – „Echt? 500 Meter??“ – „Naja, so ungefähr halt“.

Hm. Egal, auch wenn es noch 700 Meter sind: Offenbar gibt es dieses Fernerhaus doch, ich habe schon leise daran gezweifelt. Meine Schritte gewinnen an Schwung, den sie aber recht bald wieder verlieren. Wer baut solche Wege? Die letzten paar hundert Meter liege ich fast auf meinem Rad, während ich es bergan schiebe. Ein Niederländer versucht mir auf Deutsch zu sagen, dass es nochmal flach wird, dann nochmal steil, dann nochmal flach und dann kommt das Ziel – auch nochmal steil. Ich höre nur noch steil und will jetzt eigentlich keinen Schritt mehr weiter. Aber tatsächlich, da ist ein kleines FlachstĂĽck! Rauf aufs Rad und im Schneckentempo gekurbelt, bis es nochmal eklig wird. Also wieder runter und schieben. Ein paar Meter bergab und DA IST DER ZIELKANAL! Da geht es auf grobem Schotter hinauf und ich reiĂźe mich noch einmal zusammen, fest entschlossen, ins Ziel einzuradeln. Das klappt auch bis 1,5 Meter vor dem Ziel, denn da kippe ich fast um. Mist, dann halt doch schiebend ĂĽber die Zeitmessmatte.

Geschafft! Und völlig euphorisiert.
Geschafft! Und völlig euphorisiert.

Aber ich habs geschafft! 33,4 Kilometer mit 1500 Höhenmetern. Ich taumele in den Zielbereich und bin völlig euphorisiert. Wie irgendwie alle um mich herum. Jeder, der sich auch nur mal flĂĽchtig gegrĂĽĂźt hat während der letzten drei Tage, fällt sich gegenseitig um den Hals. Ein einziger groĂźer, kaputter Freudentaumel, alle den Tränen nah. VerrĂĽckt, was so ein paar Höhenmeter mit Menschen machen. Ich vermute, die ersten nutzen bereits das WLAN des Fernerhauses, um sich in der völligen Euphorie sofort fĂĽrs nächste Jahr anzumelden, was ich total verstehe. Ich brauche sicher eine halbe Stunde, um von diesem „Rausch“ wieder runterzukommen. Was bleibt, ist Erschöpfung und Hunger und Stolz.

FleiĂźige Verpfleger fĂĽr die Erstversorgung am Fernerhaus.
FleiĂźige Verpfleger fĂĽr die Erstversorgung am Fernerhaus.

 

SpaĂź im Zielkanal!
SpaĂź im Zielkanal!

Wow, was waren das für drei tolle Tage. So viele nette und starke Menschen kennengelernt, so viele Höhenmeter mit viel zu wenig Vorbereitung geschafft und eine wirklich gute Rennorganisation genossen mit lauter engagierten Helfern. Zudem war ich endlich mal wieder im schönen Zillertal, man muss zugeben, die Gegend hier hat es schon sehr gut getroffen in Sachen landschaftliche Schönheit. Ich war erstmals mit dem Rad auf über 2000 Meter und habe mich Abfahrten hinunter getraut, die ich sonst niemals fahren würde.

Die Moto-Crew, die das Feld rundherum absichert.
Die Moto-Crew, die das Feld rundherum absichert.

 

Ich bin mir ziemlich sicher: die Zillertal Bike Challenge sieht mich wieder – und dann bezwinge ich diesen Hintertuxer Anstieg! Ohne Schieben! Zumindest fast. Vielleicht. Na gut, zumindest komme ich irgendwie hoch. Denke ich. Zur Not schiebend.

 

Heute ist nicht alle Tage! Ich komm wieder, keine Frage. Aber mit mehr Training.
Heute ist nicht alle Tage! Ich komm wieder, keine Frage. Aber mit mehr Training.

 

Weiterlesen…

1. Etappe: Wir brutzeln uns nach oben

2. Etappe: Von Singletrails und anderen Abenteuern


 

Hinweis: Meine Teilnahme an der Zillertal Bike Challenge und die Unterkunft im Aktivhotel Tuxerhof erfolgt auf Einladung und Kosten der Zillertal Tourismus GmBH.


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Carolyn Ott-Friesl

Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine AusrĂĽstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*