Thomas Kerner schafft es, trotz Mehrfachbelastung immer weiter zu den besten seines Sports aufzuschließen. Er hat große Ziele und ist auf dem besten Weg zum Crosstriathlon-Profi.
Der Bürgermeister von Odenheim nimmt die Pistole in die Hand, richtet den Lauf nach oben zum wolkenverhangenen Himmel und drückt ab. Ein lauter Knall. 82 Menschen in bunter Funktionsbekleidung laufen los, in den kalten Regen. Einige wenige Zuschauer klatschen, verhutzelt unter Kapuzen und Regenschirmen. Wer heute das Haus verlässt, braucht einen wirklich guten Grund dafür. Schmatzend sinken die Turnschuhe zentimetertief in die aufgeweichte Aschebahn ein. Aus den Lautsprechern klingen blechern letzte Infos des Moderators. Nach einer halben Runde biegen die Läufer ab, überqueren eine Straße und verschwinden in den Wald.
Thomas Kerner verlässt die Bahn auf Position acht. Das Grinsen, mit dem er sonst so gut wie immer die markanten Vorderzähne zeigt, ist einem Tunnelblick gewichen. Schon nach wenigen Minuten übersäen Dreckspritzer den rot-schwarzen Einteiler.
Seit einem Jahr betreibt der 21-Jährige Cross-Triathlon, die Randsportart in der Randsportart. Ironman auf Hawaii, das kennen einige. 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und ein Marathon zum Schluss. Andere Triathlondistanzen, andere Wettkämpfe, davon wissen nur Interessierte. Noch unbekannter ist die Querfeldein-Version davon. Schwimmen im freien Gewässer, danach mit dem Mountainbike durchs Gelände und am Ende ein Crosslauf über Stock und Stein. Genau das ist Thomas‘ Spezialdisziplin.
An diesem feuchtkalten Herbsttag geht es in Odenheim zwar auch durchs Gelände, allerdings fehlt das Schwimmen. Wer als erster die Ziellinie überquert, darf sich Deutscher Meister im Cross-Duathlon nennen. Vorher müssen 9 km Lauf, 33 km mit dem Mountainbike und schließlich noch einmal 4 km laufend zurückgelegt werden. „As Schwimma is eh mei schlechtaste Disziplin“, lacht Thomas.
Ganz fit ist er nicht. Knapp vier Stunden Schlaf, mehr war nicht drin. Die Nachtschicht in der Woche zuvor hat den Rhythmus zu sehr durcheinander gebracht. Trotzdem hofft er auf eine gute Platzierung.
Der Drei-Schicht-Betrieb bestimmt seinen Trainings-, seinen Lebensrhythmus. Zwei Sporteinheiten will er jeden Tag schaffen, das sind drei bis vier Stunden. Schwimmen, Radfahren oder Laufen. Wenn er Nachtschicht hat, macht er morgens eine Einheit, schläft ein paar Stunden, macht abends die zweite und geht dann wieder arbeiten. Was seine Freundin dazu sagt? „Wenn sie net begeisterungsfähig wär, dad des ja garnet gehen“, erzählt er, während er immer wieder die Basecap abnimmt und über seine Glatze streicht. Wer mit ihm nicht über Sport reden kann, ist auch nicht in seinem engeren Freundeskreis.
Mit seinem starken oberpfälzischen Dialekt fällt er immer auf, vor allem außerhalb der Heimat. Aus Geld wird Göld, aus Kilo wird Küllo. Trotzdem versucht er gar nicht erst, Hochdeutsch zu sprechen mit Nichtbayern. Verstehen können ihn die wenigsten, die meisten stimmen einfach in sein Lachen ein und nicken. Obwohl er erst seit Kurzem dabei ist, ist er in der Szene bekannt. Alle paar Minuten grüßen ihn Athleten und Organisatoren bei den Wettkämpfen. Wenn nicht, geht er selbst auf die Konkurrenten zu und plaudert mit ihnen.
Nach der Hälfte des ersten Laufs in Odenheim kann sich Thomas einen Platz nach vorne arbeiten. Die Strecke hat einige Steigungen. Das kommt ihm entgegen, mit 59 kg auf 1,75 m kommt er die Berge besser hoch als die meisten anderen Athleten. Mit federnden Schritten nähert er sich der Wechselzone, in der die Räder für die zweite Disziplin nebeneinander aufgereiht sind. Hin und wieder platscht Thomas in eine Pfütze. Wo er hintritt, ist aber jetzt egal. Nur nach vorn. Er keucht. Sein Körper wirkt wie ein einziger Muskel.
„Heit dad ma mir wahrscheinlich Tabletten geben gegen ADHS. Aber damois hams mich halt in den Sportverein gsteckt.“ Als Fünfjähriger beginnt er mit Leichtathletik. Mit 18 startet er beim Leistungssport durch, erst Laufen, dann Rennrad, dann Triathlon.
Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof. Dort wohnt er immer noch, unter einem Dach mit den Großeltern. Engagiert ist er eigentlich überall. Im Leichtathletikverein, im Radverein, im Karnevalsverein. Wann er das alles macht? Das weiß er wohl selbst nicht so genau.
Es macht „Piep“ am Eingang zur Wechselzone, die im Innenraum der Aschebahn mit leuchtend orangenem Absperrband eingezäunt ist. Das Transpondersystem hat Thomas erfasst. Er orientiert sich kurz, sprintet zu seinem Mountainbike. Jeder Griff sitzt. Schuhe wechseln. Startnummer nach hinten. Helm auf. Rad raus. Aufspringen. Vollgas in den Matsch.
Schmerzen von Wettkämpfen merkt er erst am Tag danach. Während des Wettkampfs schaltet er das aus. „Aber ein bisserl schmerzgeil muaßt scho sei für sowas. Sonst würd ma des ja alle nur einmal machen und dann nie wieder.“ Aber auch Erfolge motivieren ihn. In Den Haag überraschte er sich selbst mit dem Weltmeistertitel in der Altersklasse 20-24. „Die da ganz vorn dabei sind, des sind alles Profis. Des wär natürlich scho a Traum“. Verdient man denn überhaupt etwas als Crosstriathlon-Profi? „Naa“, lacht er. „Do zahlst, dassd dich ganztags quälen darfst“. Er plant, nach einer Weiterbildung zum Techniker, die er noch zusätzlich neben Schichtdienst und Sport macht, erst einmal halbtags zu arbeiten, damit mehr Zeit für Training bleibt.
Nach zehn Kilometern auf dem Mountainbike kann man die Sportler kaum noch unterscheiden. Alle sind von oben bis unten braun vor Matsch, auch die Startnummern sind nicht mehr erkennbar. Dass gerade Thomas vorbeifährt, erkennt man fast nur an der riskanten Fahrweise, mit der er sich die steile Passage hinab wirft. Viele andere zögern hier. Inzwischen hat er zu den besten aufgeschlossen. Ein Podiumsplatz ist in Reichweite. Vor ihm nur noch Profis. Dann eine scharfe Asphaltkante, ein Fahrfehler in der Hektik des Rennens . Die Luft entweicht aus dem Hinterreifen. Das Rennen ist vorbei für ihn.
„Ja mei, a Platten hoit“, seufzt er. Dafür wurde er nach dem Rennen von KraichgauTV interviewt, das freut die Sponsoren und es bringt das Lachen wieder zurück in das schlammverkrustete Gesicht.
DNF steht in der Ergebnisliste vor seinem Namen. Did Not Finish. „Naja“, sagt er später im Auto auf der Heimfahrt. „A bissal fuxen duads mi scho, mit dem Platten.“ Aber das ist nur für den Moment. Er hat in dieser Saison mehr erreicht, als er sich hätte vorstellen können.
Heute Abend ist er zum Feiern verabredet. Und er ist ausnahmsweise nicht der, der alle mit dem Auto nach Hause bringt, weil er während der Saison selbstverständlich nichts trinkt. Denn nach dem letzten Rennen der Saison sind zwei, drei Bier erlaubt.
Bis in zwei Wochen endlich wieder das Training los geht. Für die nächste Saison.
Mehr über Thomas Kerner auf www.thomas-kerner.de
Carolyn Ott-Friesl
Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine Ausrüstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*
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