Gastbeitrag – Um meinen Basteltrieb zu wecken, braucht es manchmal gar nicht viel. Dieses Mal reichte schon ein Buch – vielleicht war es sogar nur das Cover dieses Buchs: „Vintage-RĂ€der: Wie Sie alte FahrradschĂ€tze aufspĂŒren und restaurieren„* von Gianluca Zaghi.
Schon nach dem DurchblĂ€ttern bin ich voll motiviert, das Buch hat direkt meinen Jagdtrieb geweckt. Ich will jetzt sofort an einem alten Rennrad basteln! Einfach um des Bastelns willen und natĂŒrlich wegen des Naturgesetzes n+1.
Um die Herausforderung komplett zu machen, möchte ich nicht nur ein bisschen am Rahmen herumpolieren und ein neues Lenkerband aufziehen – nein. Ich möchte ein altes Rennrad, das so richtig durch ist, zum Edel-Oldtimer herausputzen! Zumindest der Rahmen sollte aber in Ordnung sein – die Komponenten kann man im Zweifel ersetzen. AuĂerdem möchte ich nicht gleich einen Mondpreis fĂŒr mein erstes Bastelprojekt bezahlen.
Nach einigen Abenden des Hardcore-Ebayings werde ich dann endlich fĂŒndig. Ein Bianchi lacht mich an. Ein sehr rostiges Bianchi. Meine Augen glĂ€nzen – ein Klick, eine Nachricht und der Oldie ist meiner.
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Bestandsaufnahme
Kurz vor Weihnachten ist es dann endlich da. Etwas lieblos in den Hausflur geschmissen vom Paketboten. Aber das Àndert auch nichts mehr an der Gesamtsituation: Das Rad ist in erbÀrmlichem Zustand. Fast habe ich ein bisschen Mitleid mit diesem ehemals bestimmt stolzen Bianchi-Rennrad.
Dann mal zur ersten Bestandsaufnahme: Eine Speiche ist gerissen, das Innenlager ist schwergĂ€ngig, Lenkerband und Griffgummis sind hinĂŒber, die Decals – die Aufkleber auf dem Rahmen – blĂ€ttern von alleine ab, die Laufradachse des Hinterrads ist gebrochen und ganz allgemein hat ĂŒberall der Rost ordentlich seinen Tribut gefordert.
Ăber zu wenig Arbeit kann ich mich also nicht beschweren. Das ist ein Projekt, wie ich es haben wollte. Oder?
Ăber das Rad: Bianchi Rekord 845
Ăber das Bianchi Rekord 845 findet man nicht wahnsinnig viel im Netz. Es ist auf jeden Fall kein High-End-Modell, eher ein Einsteigerrad. Die Komponenten, vor allem die LaufrĂ€der, werden allgemein eher nicht mit Begeisterung kommentiert.
Auf dem Rad findet sich ein Sticker zur Rad-WM in Colorado Springs im Jahr 1986 – das bedeutet, das Bianchi wurde danach angeboten, ich tippe auf 1987. Das heiĂt auf jeden Fall: ein echter Oldtimer steht da vor mir, vermutlich gerade mal ein Jahr jĂŒnger als ich.
Auseinandernehmen – gar nicht so einfach!
Aber nun an’s Werk! An RennrĂ€dern schrauben kann ich, ein paar (moderne) RĂ€der habe ich auch schon komplett von Grund auf selbst zusammengebaut. Am technischen Wissen und am Werkzeug sollte das Projekt schon einmal nicht scheitern.
Aber zunĂ€chst muss das Bianchi mal von seiner Dreckschicht befreit werden – und zwar jedes einzelne Teil. DafĂŒr zerlege ich erst einmal das Rad in seine Komponenten – von den Bremshebeln ĂŒber den Umwerfer bis zu den Schaltröllchen. Das Auseinandernehmen gestaltet sich aber gar nicht so einfach und bei manchen Komponenten zeichnet sich ab, dass der Rost schon zu viel weggefressen hat, wie beim Umwerfer.
Vor allem das Innenlager wehrt sich nach KrĂ€ften. Ich kaufe zwar einen FAG-MontageschlĂŒssel – das Lager ist aber so festgefressen, dass ich auch mit dem Spezialwerkzeug keine Chance habe, da was zu rĂŒtteln. Also fahre ich gröĂere GeschĂŒtze auf: Mit einem Dremel (meine Allzweckwaffe bei diesem Projekt) mit FrĂ€senaufsatz löchere ich rundum ins Lager hinein, bis es sich irgendwann bewegt. Klingt nach Arbeit, ist es auch!
Nach dieser Aktion ist das alte Innenlager Geschichte. Ein neues muss her: klassisch italienisch mit TA-Gewinde, aber vom Durchmesser her anders als das alte.
Auch die Kassette am Hinterrad macht es mir nicht leicht. FĂŒr die Sachs-Kassette brauche ich einen speziellen Sachs-Abzieher und viel Geduld, um sie lose zu bekommen.
Reinigen und Rost stoppen…
Lappen, Wasser und Seife sind gegen den oberflĂ€chlichen Dreck ganz nett. Um aber gegen die Schmutzpatina, die sich ĂŒber die Jahrzehnte angesammelt hat, eine Chance zu haben, lege ich viele Metallteile erst einmal in Ăl und Waschbenzin ein.
Um den Rost auf den einzelnen Komponenten aufzuhalten, werden diese in Essig eingelegt. Der Rost geht dadurch zwar nicht weg, breitet sich aber nicht weiter aus, wird schwarz und sieht damit nicht mehr ganz so gammelig aus. Die Decals – also den Schriftzug auf dem Rahmen popele ich mit dem Daumen ab – ganz meditativ. Und nervtötend.
Insgesamt ging ich so vor:
- ZunÀchst den groben Dreck mit Seife, Lappen und Schwamm entfernen.
- Soweit es geht, den Rost entfernen durch vorheriges Einlegen in Ăl oder Waschbenzin
- Alternativ: Mechanisches Bearbeiten des Rosts durch 1000er Schleifpapier oder per Polieraufsatz fĂŒr den Dremel oder die Bohrmaschine
- Wenn der Rost nicht zu entfernen ist, sollte er wenigstens aufgehalten werden. Das geht beispielsweise mit Rostumwandler, Essig oder Cola. Aber Achtung, der Rost verfÀrbt sich dann und wird schwarz!
- Empfehlung: Chrom lĂ€sst sich mit feiner Stahlwolle reinigen und polieren â das sieht dann aus wie neu.
…und wieder zusammensetzen
Das Zusammensetzen der Einzelteile ist lang nicht so aufwĂ€ndig wie das Auseinandernehmen. Zuerst kommen Innenlager und Kurbel, dann das Schaltwerk, der neue Umwerfer, Bremsen, Lenker und Schalthebel. Es fĂŒgt sich langsam alles wieder zu einem Rad.
Beim Aufkleben der neuen Decals merke ich zu spĂ€t, dass diese nicht ganz genau deckungsgleich mit den alten sind. Wer es nicht weiĂ, dem fĂ€llt es nicht auf. Aber es ist dennoch richtig Ă€rgerlich, wenn man schon so viel Arbeit reinsteckt.
Die Bremsleitungen sind noch eine kleine Herausforderung, denn hier die richtigen LĂ€nge zu finden, ist gar nicht so einfach. „WĂ€scheleinen“ – also sehr lange BremszĂŒge – waren ja frĂŒher der Standard. Aber wie lang genau? Das erfordert Feintuning und ich brauche eine Weile, um genau die richtige LĂ€nge zu finden.
Das Hinterrad habe ich einmal komplett auseinandergenommen und die Lager gefettet. Die „neue“ Hinterachse, die die alte gebrochene ersetzt, ist recycelt aus einem alten Laufrad. Dabei musste noch die Achse abgeflext werden, weil sie zu lang war.
Endlich, es ist Zeit fĂŒr eine erste Probefahrt. Toll! An die Rahmenschaltung muss man sich natĂŒrlich gewöhnen, aber sie funktioniert nach ein paar SchaltvorgĂ€ngen wunderbar. Die Kette ruckelt hin und wieder ein bisschen, vielleicht muss die noch getauscht werden – aber das ist Feintuning.
Komponentenliste nach Restauration
- Rahmen: Bianchi 845 (ca. 1987)
- Gabel: Puch
- Schaltung: Sachs Huret
- Umwerfer: Sachs Huret
- Schalthebel: Sachs
- Kurbel: Shimano 7400
- Bremsen: Weinmann
- Bremshebel: Weinmann
- Naben: Maillard
- Felgen: Weinmann 16×622
- Reifen: Michelin Select 25
- Sattel: Selle san Marco Laser
- Innenlager: Shimano 105 36×24
- Kassette: Sachs Schraubkranz
- Kette: Wippermann connex 800
Die Kosten fĂŒr meine Rennradrestaurierung
Zeit fĂŒr einen Kassensturz. Was hat mich der SpaĂ jetzt eigentlich gekostet? Prinzipiell habe ich darauf geachtet, dass auch alle hinzugekauften Komponenten zumindest zeitlich authentisch zum Rad passen. Das Innenlager weicht beispielsweise von der Originalausstattung ab, passt aber zeitlich zum Rad.
- Rad + Versand: 180 Euro
- Neue Decals (Aufkleber fĂŒr den Rahmen): 30 Euro
- Neuer Umwerfer: 7 Euro
- Neues Innenlager: 18 Euro
- Kork-Lenkerband: 8 Euro
- Griffgummis: 15 Euro
- Schalt-/BremszĂŒge und Seil: ca. 20 Euro
- Hinterachse fĂŒrs Laufrad: kostenlos, da zur Hand
- Neue Kette: 12 Euro
- Arbeitsstunden: unbezahlbar đ
Werkzeuge und Hilfsmittel
Ich war werkzeugmĂ€Ăig schon ziemlich gut ausgestattet. FĂŒr so ein betagtes Rad brauchte es aber dennoch noch ein paar extra Tools, damit ich das Rad ĂŒberhaupt auseinandernehmen und wieder zusammensetzen konnte. Folgende Werkzeuge waren dabei hilfreich:
- Dremel*
- Trennscheiben fĂŒr den Dremel*
- Spezieller SchlĂŒssel fĂŒr das FAG-Lager*
- Gummihammer*
- MaulschlĂŒssel in unterschiedlichen GröĂen*
- Spezieller Abzieher fĂŒr Sachs-Kassette*
Das Vintage-Projekt endlich vollendet
Und dann steht es fertig da – nach Monaten des Polierens, Schraubens, Schrubbens, Dremelns und nach Höhen und Tiefen. In nicht ganz neuem Glanz, aber dennoch ist das Bianchi Rekord 845 ein echter Hingucker und jetzt wieder fit fĂŒr neue, dem Alter angemessene Abenteuer. Und ich fĂŒr neue Schrauberherausforderungen!
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Christoph Ott
"Der beste Mann der Welt" (Zitat Caro), Bastler und der Techniknerd in der Familie.
Der Typ hinter dem KettenlÀngenrechner und dem Steigungsleistungsrechner.
3 Gedanken zu “Bianchi Vintage-Rennrad restaurieren: Gegen den Rost!”
mh, frag nicht wie ich auf deine Seite kam, ich hatte so einen Newsletter in meinen Mails von dem ich nciht wuĂte ob ich ihn abboniert habe – egal. So bin ich auf deine Seite und den Artikel hier gestossen. Da ich ebenfalls ein leidenschaftlicher RR-Fahrer bin und ebenfalls RR-Schrauber muss ich förmlich meinen Senf dazu geben. Ich habe bereits mehrere RR-Oldtimer vor der Schrottpresse gerettet und restauriert, von daher đ mindestens zwei Tipps fĂŒr deine nĂ€chsten Projekte.
1. Chrom kann man leichter und besser aufarbeiten mit Hilfe von Alupapier und Cola – macht jeder Harley Freak ebenso und die mĂŒssen es schlieĂlich wissen. đ
2. Rost hĂ€lst du mit dieser Methode eher nicht auf, wenn ĂŒberhaupt, dann verlangsamt sich das ausbreiten eventuell um ein paar Wochen. Die bessere Methode wĂ€re gewesen, den Rahmen zu sandstrahlen, den alten Lack runter und gleichzeitig den Rost, dann den Rahmen mit 1000er Schmiergelpapier nachbearbeiten und dann neu lackieren – geht mit Fahrradlack von urban-zweirad.de super einfach…
Ach ja, letzte Bemerkung… ich wĂŒrde die WĂ€scheleinen noch auf ein Minimum einkĂŒrzen, der reinen Optik wegen.
Moin Moin,
ist wirklich schön geworden.
Seit nicht all zu langer Zeit bin ich ebenfalls Besitzer eines Rekord 845.
Es ist bei weitem nicht in einem so traurigen Zustand wie deines ursprĂŒnglich war, hat aber leider einige Macken im Lack und hier und da erste Rost bildung.
Deshalb habe ich mich dazu entschlossen das Rad einmal komplett neu zu lackieren.
Bei meiner Suche nach den Rekord 845 decals finde ich leider nicht die originalen, könntest du mir verraten wo du deine bekommen hast?
Liebe GrĂŒĂe und gute Fahrt,
Tomin