Leiden und Genießen bei der Eroica: Weiße Straßen, bunte Wolltrikots und ein großes Radsportfest

Pressereise | Ab dem Zeitpunkt, an dem klar ist, dass wir in die Toskana zur Eroica Montalcino fahren, beschäftigt mich die Wahl der Strecke tagelang. 70 Kilometer mit 1300 Höhenmetern? Kein Problem. Also normalerweise, so mit einem modernen Rennrad, modernen Klickpedalen und auf geteerten Straßen.

Aber ich will ja was erleben. Also doch lieber die 96 Kilometer mit 1900 Höhenmetern? Das klingt schon mit modernem Material und ohne Schotter gar nicht so easy. Aber machbar. Die 150 Kilometer mit 3000 Höhenmetern fallen raus, so selbstbewusst bin ich dann doch nicht. Also klicke ich mit klopfendem Herzen auf die 96-Kilometer-Strecke im Anmeldeformular. Da erlebe ich was, da bin ich mir sicher.

Eroica Montalcino: eine heldenhafte Herausforderung

Aber zunächst zurück zum Anfang. Was ist diese Eroica eigentlich? Wörtlich übersetzt ist es „die Heldenhafte“ – und das trifft es schon ganz gut. Denn die Herausforderung dabei ist: Mit alten Rennrädern und sonstiger Vintage-Ausstattung (alles möglichst mindestens 35 Jahre alt) über die weißen Schotterstraßen der Toskana fahren, reich an Höhenmetern und schönen Ausblicken.

Das bedeutet: Rahmenschaltung, keine Klickpedale, „Wäscheleinen“ am Lenker, dünne Reifen, Wolltrikot. All die schönen modernen Spielzeuge und Materialien, auf die wir heutzutage zurückgreifen können, sollte man bei der Eroica zuhause lassen. Das stellt mich in den Tagen vor dem Rennen vor ein paar Probleme. Welche Schuhe zieht man da an? Fällt meine Lycra-Radhose auf? Und bekomme ich da vor Ort noch ein Wolltrikot?

Glücklicherweise habe ich noch eine Sonnenbrille aus den Achtzigern von meinem Vater im Fundus und bei Deichmann finde ich Adidas-Hallenschnürschuhe, die von weitem vielleicht ganz ok aussehen könnten. Wird schon! Also Mann, Kind und ungefähr tausend Dinge eingepackt und ab über den Brenner in Richtung Toskana. Andiamo!


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Montalcino: Toskana wie aus dem Bilderbuch

Die Autobahn führt uns über Florenz nach Siena (erster Gelato-Stop: Check!) und von da an geht es über kleine, recht löchrige Straßen über Land. Die Toskana enttäuscht uns nicht, das ist hier wie man es sich vorstellt. Sanfte Hügel, kurvige Straßen, Zypressen entlang des Horizonts. Hach. Und einer der größeren Hügel, auf dem eine trutzige Festungsstadt thront, stellt sich als unser Ziel für heute heraus: Montalcino. Premium-Toskana, wie jemand später zu mir sagen wird.

Wir schlängeln uns die kurvige Straße hinauf und erste Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn, wenn ich dran denke, dass ich am Ende der Eroica dann mit dem Rad auf diesen Hügel hinauf muss.

„Sie haben Ihr Ziel erreicht!“ Da sind wir nun also, am Eingang zur Altstadt von Montalcino und hier – ganz unscheinbar – liegt auch unsere Unterkunft Albergo Giardino, in der wir die nächsten Tage hervorragend umsorgt von Gastgeberin Nida unterkommen.

Erstmal die Koffer ins Zimmer schmeißen und los geht’s zum Erkunden. Montalcino ist eine wunderschöne mittelalterliche, steinige, grüne Stadt, umgeben von Olivenhainen und Weinanbaugebieten. Steile Gassen, grobe Steine und ein Traumausblick auf die umliegende Landschaft. Könnte schlimmer sein, so ein Toskana-Urlaub!

Überall hängen die Schilder, die den Weg zum Start-/Zielbereich der Eroica weisen – dann laufen wir denen doch mal nach. Und nach wenigen Minuten kommen wir an, an der Piazza del Popolo, dem Eroica-Epizentrum für dieses Wochenende. Ein Radsport-Traum. Girlanden aus leuchtenden Woll-Radtrikots sind über den Platz gespannt, Straßenmusiker sorgen für Stimmung und überall sind wunderschöne alte Räder und deren zeitgemäß gekleidete Fahrer*innen zu sehen. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hingucken soll.

Den Abend begehen wir, wie man das halt so machen sollte in der Toskana: Auf dem Weingut Col d’Orcia, wo wir den wirklich SO guten Brunello-Rotwein (sagt die normalerweise Weißwein- bzw. gar-nicht-Trinkerin :P) und sonstige Leckereien von hier verköstigen. Dort treffe ich Giuseppe, eigentlich Journalist für juristische Themen bei der Zeitung Corriere della Sera. Er war schon oft bei der Eroica dabei und schwärmt mit leuchtenden Augen – und versucht mich doch noch für die ganz lange Strecke zu begeistern. „Das muss man sowieso langsam machen, sonst macht man es falsch.“


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Der Tag vor der Eroica: Anfreunden mit dem Oldie-Rad

Am Tag vor der Eroica hole ich nach dem süßen italienischen Frühstück (Pistazien-Croissants – ich möchte eigentlich nix anderes mehr…) erst einmal meine Startnummer und die Stempelkarte ab. Wie in Italien bei Radevents üblich muss dafür ein Gesundheitszeugnis vorgezeigt werden – je nach Strecke sogar inklusive EKG, wie bei meinen 95 Kilometern. Glücklicherweise war mein Hausarzt seeehr flexibel und hat mich kurzfristig zwei Tage vor Abfahrt noch durchgecheckt.

Eine der letzten Hürden muss ich vor dem Rennen nehmen: Ich brauche ein Wolltrikot! Der große Vintage-Markt rund um das Rennen bietet alles, was das Oldie-Radherz begehrt: Radkleidung, Schuhe, Zubehör, alle vorstellbaren Anbauteile und natürlich restaurierte alte Radschätze. Ich wühle mich durch die Stände und werde dann irgendwann fündig: ein Wolltrikot in blau und weiß, passend zu meinen Schuhen. Mehr als 50 Euro wollte ich nicht ausgeben für ein Trikot, dass ich möglicherweise nur einmal anziehe. Die richtig tollen Trikots mit kultiger Werbung oder Weltmeisterstreifen liegen alle bei mindestens 100 Euro. Hui!

Noch schnell das mit lauter tollen Leckereien gefüllte „Race Pack“ in der schicken Blechkiste bei Gino abholen und dann wird es Zeit, meinen Teampartner für morgen kennenzulernen: mein Leihrad. Die Größe passt, die 105er-Rahmenschaltung ist etwas zu neu für die Eroica-Anforderungen, dafür ist die Übersetzung echt heldenhaft. Naja, sind ja nur knapp 2000 Höhenmeter, die ich damit hochfahren soll. Wird schon!

Meine ersten paar Meter auf dem Rad sind sehr wackelig. Bremsen geht nur im Unterlenker und an dem Sattel werde ich nur begrenzt Freude haben. Aber nach ein paar hundert Metern fühlt sich das alles schon ganz ok an. Mit der Rahmenschaltung komme ich gut klar, das kenne ich noch von meinem allerersten Rennrad. Eine kleine Testtour zum Passo del Lume Spento und einen Abstecher in eine kleine Strada Bianca später bin ich zufrieden – wir sind ein gutes Team!

Abends genießen wir die Atmosphäre in Montalcino – überall Musik, tanzende Menschen und ein wundervolles Abendlicht. Ein wirkliches Radsportfest ist das hier! Noch einmal hausgemachte Pasta essen, ein klitzekleines bisschen Wein trinken und schon wird es Zeit, alles für morgen vorzubereiten, damit ich mich möglichst unbemerkt vom schlafenden Kind wegschleichen kann. Schuhe, Wolltrikot, Radhose, Brille, Helm, Trinkflasche, Sonnencreme. Kann losgehen!

Raceday!

Das mit dem unbemerkt wegschleichen klappt sehr gut. Bis dann die Türe beim Rausgehen leider superlaut zu quietschen und knarren beginnt und ich ein Aufheulen von der anderen Seite höre. Mist. Da muss der beste Mann der Welt aber jetzt mal kurz alleine klarkommen – ich muss los!

Der Tag startet gut mit dem süßen, pistazienreichen Frühstück, ich fülle die Trinkflasche und tappere los, um mein Rad abzuholen. Ich rolle durch die alten Gassen Richtung Start und erlebe eine Schrecksekunde, als mein Vorderrad in einer Regenrinne hängenbleibt. Huiuiui, das hätte jetzt auch das Ende meiner Eroica sein können, noch bevor es losgeht…

Aber alles noch einmal gut gegangen. Ich hole mir meinen ersten Stempel an der Piazza del Popolo, starte den Bolt, den ich in der Rückentasche mitnehme, schlängle mich durch die noch-nicht-Starter*innen und dann bin ich auf dem Weg in mein kleines Abenteuer. Der Freilauf surrt im Morgenlicht, die kühle Luft und die erste Abfahrt mit Ausblick – so lässt es sich aushalten!

Nach wenigen Kilometern geht es dann los mit dem Schotter. Ich fahre hinein in die erste weiße Straße, die mit einem sanften Auf und Ab durch die Landschaft geht. Nach einer Weile fährt Sara von hinten auf mich auf. Superfit ist sie unterwegs mit ihrem eigenen Colnago-Stahlrenner und kariertem Wolltrikot. Ursprünglich ist sie aus Rom, wohnt aber in der Schweiz und spricht perfekt deutsch. Wie cool! Die nächsten 40 Kilometer nehmen wir gemeinsam unter die Räder.

Nach nur 12 gefahrenen Kilometern fahren wir bereits auf die erste Verpflegung zu. Ich hab doch erst gefrühstückt! Also nur ein Stück Banane mitgenommen, ein bisschen umgesehen und weiter geht’s, immer hoch und runter.

Eigentlich würde ich gerne alle paar Meter stehen bleiben für ein Foto. Wegen des Regens in den Wochen zuvor ist die Toskana so grün wie sonst kaum um diese Jahreszeit. Die bunten Wolltrikots auf den weißen Straßen, Mohnblumen am Straßenrand, die Zypressen werfen noch lange Schatten, die Sonne wärmt ganz sanft – es ist einfach sehr, sehr schön und so könnte ich den ganzen Tag weitercruisen. Ich finde, ich mache meinen Job, die Eroica maximal zu genießen, gerade sehr gut.

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Gefährliche Abfahrten und stechende Sonne

Dann kommt erstmals der Part, vor dem ich wirklich Respekt habe. Steile Abfahrten auf Schotter – und hier kündigt sogar ein Schild an, dass die Abfahrt mit 15 % gefährlich sein kann. Na, dann dürfen die Bremsen mal zeigen, was sie so drauf haben.

Ich ziehe an den Bremshebeln wie verrückt und feuere mich mit Selbstgesprächen an. Okokokok, aaaaah, huiiii, was mache ich denn hier? Liebe Felge, halte durch – MAMA, ah jetzt ists gleich vorbei, HA GESCHAFFT.

Ja, Abfahrten sind nicht so mein Ding, vor allem nicht auf Schotter. Puh.

Wir rollen immer mal wieder Fahrerinnen auf – von den 2500 Teilnehmenden sollen immerhin 300 Frauen am Start sein. Na, ausbaufähig, würde ich sagen! Aber kein Wunder, denn bei Eroica hat man halt oft die älteren Männer mit imposanten Bärten im Kopf und auf Bildern. Die Frauen, die wir sehen, sehen allesamt sehr fit aus, sind teilweise in Kleidern am Start, während bei den Männern auch sehr oft ein eher aerodynamischer Bierbauch präsentiert wird.

In Buonconvento rollen wir auf die zweite Verpflegung zu. Die Sonne fängt langsam an zu stechen, es ist halb elf. Die perfekte Zeit für… Wein? An den reichlichen Verpflegungsstationen gibt es kaum isotonisches Sport-Convenience-Food – Wein, Spanferkel, Käse, Weißbrot mit Salz in Olivenöl und allerlei süße italienische Leckereien sind unter den Pavillons der „Ristoros“ zu finden. Es ist ein Träumchen! Wenn da nicht noch die Höhenmeter wären, die man das volle Bäuchlein und den kleinen Schwips danach hinaufschleppen muss.

Deswegen lasse ich das mit dem Wein mal lieber noch und bediene mich lieber bei Wasser, dem öligen Brot und den vielen italienischen Dolci, bevor es weitergeht – durch den Ortskern und weiter über Land.

Die Amplituden der Straße werden größer. Noch gut machbar. Aber dann neigt sich die Schotterstraße plötzlich steil hinauf. Also, richtig steil. Na, geht schon, auch, wenn die Beinchen langsam brennen. Wir fahren die ersten Menschen auf, die ihr Fahrrad schieben. Langsam fahre ich Sara davon. Ich hab leider keinen kleineren Gang mehr und noch etwas weniger Geschwindigkeit, dann fall ich um.

Wir ernten „Brava!“ und „Grande“-Rufe, ich biege um die nächste Kurve. Waschbrettpiste. Mir haut es bei 6 km/h fast die Schuhe vom Pedal beim Drüberrattern, während ich eh nur versuche, hier zu überleben.

Die nächste Kurve – Mist, das geht nur noch so steil weiter. Dann erstmal runter vom Rad und auf zum fröhlichen Wandertag. Einige Momente später sehe ich Sara an mir vorbeikämpfen, immer noch auf dem Rad. So stark! Ich bin jetzt kurz vorm Hitzekollaps und bin nur froh, dass ich wenigstens keine Klickschuhe anhabe zum Hochstiefeln.

Der Schotter endet irgendwann, ich schwinge mich wieder aufs Rad und kurz danach kommt schon die nächste Verpflegung – diesmal weniger opulent als in Buonconvento, aber mit leckerem Obst. Die Schattenplätzchen um das Ristoro sind voll mit Menschen, die mit müden, verschwitzten Gesichtern ihr Obstschälchen aufessen.

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Ich schaue auf meinen Bolt. Es sind noch 40 Kilometer und 900 Höhenmeter – immerhin etwa die Hälfte schon geschafft. Aber das wird eine harte Kiste, dieser Anstieg hat ein paar Körner gekostet.

Es geht noch weiter hoch nach der Verpflegung. Am Pedal links verspüre ich einen wachsenden Widerstand – begleitet von einem herzzereißenden Quietsch-Krachen. Liebes Pedal, bitte lass mich nicht im Stich! Die anderen drehen sich erst irritiert und dann etwas mitleidig nach mir um.

Ich bleibe kurz stehen, drehe das Pedal hin und her und fahre weiter. Das Geräusch ist schon mal weg, ein kleiner Widerstand immer noch da. Aber zumindest scheint es jetzt erst einmal weiterzugehen.

Da kommt auch schon die Streckenteilung. Geradeaus könnte man jetzt direkt nach Montalcino weiterfahren, rechts weg geht es direkt in eine „Discesa difficile“ – eine schwierige Abfahrt – auf die größeren Runden.

Kurz überlege ich, die Beinchen sind matt und das Ziel verlockend. Aber ich meine, ich bin doch fürs Abenteuer da, der Tag ist noch jung und eigentlich will ich nicht, dass es schon vorbei ist. Also los! Kurz von Sara verabschiedet, die die kürzere Runde nimmt und hinein in die Abfahrt. Die stellt sich jedoch als grobe Schotterrinne raus. Das fängt ja gut an!

Next level Schotter

Ich steige ab und schiebe erst einmal den steilsten Teil hinunter – und bin damit nicht die einzige. Irgendwann muss es ja wieder fahrbar werden. Aber ich verstehe langsam, warum in der Streckenbeschreibung stand: „for trained cyclists who do not get scared off the slopes“ – ja gut, ich scare mich halt ein bisschen. Aber davon geht ja erst einmal nix kaputt.

Der Schotter ist ab hier doch nochmal eine andere Hausnummer. Die Steine größer, die Rinnen tiefer und die Reifenspuren schmaler. Huiuiui. Ich bin zwar schon ziemlich fertig, wenns bergauf geht – aber bergab ist fast noch anstrengender mit bremsen und konzentrieren. Ich bin langsam echt durch und nur froh, dass ich zumindest keine Materialprobleme wie so viele andere habe.

Ganz kurz – so bei Kilometer 70 herum – hat mein Spaß bei der Eroica ein Loch. Vor gefühlt jeder Abfahrt steht inzwischen ein Schild, das zur Vorsicht mahnt – meine Hände tun weh vom Bremsen, meine Trinkflasche ist fast leer und JEDE*R hier hat für die Anstiege kleinere Gänge auf der Ritzelkassette als ich. Ich tue mir gerade ziemlich selbst leid. Aber nur kurz. Schließlich bin ich ja nicht für eine Wellness-Radtour hier in der Toskana unterwegs. Also zusammenreißen, Caro, und das Leiden genießen.

Irgendwie wackle ich mich drüber und rette mich auf Asphalt. Auch hier geht es nonstop hoch und runter. Ein Stück entfernt ist der nächste Ristoro sichtbar. Sehr gut – ich brauche unbedingt Wasser!

Swing-Musik, überall liegen alte, schöne Rennräder um die Verpflegungspavillons, ich hole mir beim Rennmechaniker etwas Öl für mein Pedal ab. Aber jetzt brauche ich Wasser. Dringend! Ich schnappe meine Flasche und finde – kein Wasser. Wein gibt es hier! Und Schwein. Und ein paar süße Sachen. Ok, hilft nix. Also auch zwei Schluck Wein in den Plastikbecher und ein paar süße Stückchen inhalieren. Und wieder rauf aufs Rad. Hinein in die nächste Strada Bianca – diesmal wieder wie aus dem Bilderbuch. In leichten Wellen geht es auf und ab, der Weg ist gesäumt von Zypressen – ich weiß nicht, ob es am Wein liegt, aber es rollt wieder!

So kann es weitergehen. Aber es fehlen ja noch ein paar Höhenmeter und die kommen jetzt. Der nächste lange Anstieg lauert schon auf dem Profil. Die Straße ist geteert, so dramatisch kann es eigentlich nicht sein. Aber Sonne von oben, supersteil, Gegenwind, kein Wasser mehr und mir zieht’s mal kurz den Stecker. Nur ganz kurz im Schatten rasten, bevor es weitergeht. Da stehen schon ein paar andere Radler, die auch mal kurz verschnaufen.

Aber ich muss weiter. Besser wird’s nicht. Wieder los zur Aufholjagd mit meinem Heldenritzelpaket. Endlich oben, da wartet schon die nächste schwierige Abfahrt. Ja hui, jetzt reichts aber langsam mal. Weiterwackeln, Selbstgespräche, bremsen, bremsen, bremsen – und hinein in die kleinen Gegenanstiege.

Alle, die mir jetzt begegnen, sind schon durch mit der Welt – das merkt man auch daran, dass kurz vor mir zwei Eroici einfach mal BERGAUF blöd gestürzt sind. Kurz später schiebt ein einseits voll bandagierter Radler sein Oldie-Rad dem Berg entgegen. Jetzt ist dann langsam bei den meisten der Ofen aus, also immer weiter konzentriert bleiben. Es sind jetzt nur noch knapp 15 Kilometer und etwa 400 Höhenmeter und eine Verpflegung soll noch kommen. Hoffentlich bald, denn jetzt wäre Wasser bald mal richtig cool!

Fast im Ziel

Ich erreiche Castelnuovo dell’Abate, auch so ein schönes altes Städtchen mit engen Gassen und großen Pflastersteinen. Gerade finde ich aber die Steilheit dieser kleinen Gassen etwas gemein. Noch ein paar mal richtig hindrücken – und da ist die Verpflegung und der letzte Kontrollpunkt für heute erreicht! Erst einmal zwei Flaschen Wasser hineinschütten, was Süßes, kurz umgucken – es ist einfach echt schön hier!

Und weiter gehts. Jetzt kann es ja nicht mehr weit sein. Es geht hinunter, auf Asphalt – immerhin! Und nicht sehr lange. Denn jetzt kommt der Schlussanstieg. Ich fahre vorsichtig rein – es sind ja doch noch 6 oder 7 Kilometer bergauf und ich habe wirklich keine Lust zu schieben wie schon so viele hier. Mit meiner Übersetzung überhole ich weiter fleißig Mitstreiter*innen und irgendwie gehen die Beine wieder auf. Wasser und Schokokuchen sei Dank!

Die Kilometer und Höhenmeter fliegen dahin und da neigt sich die Straße schon wieder in die Waagrechte, ich überquere den mir schon bekannten Kreisel zur Altstadt in Montalcino, fahre an der Stadtmauer entlang, noch eine kleine Abfahrt, rechts einbiegen in die Pflastergasse zur Piazza del Popolo und schon ist es rum!

Kurz anstellen für den letzten Stempel und die Medaille, danach abtauchen in die laute Party im Zielbereich. Jede und jeder wird hier gefeiert, Jubel brandet auf, sobald neue Radfahrer*innen ankommen. Die Finisher werden gleich von der Menge aufgesogen und man kann gar nicht anders als einfach mitwackeln. Puh! Tatsächlich geschafft! Und ich bin gleichzeitig froh und traurig, dass es schon vorbei ist.

Eroica in Montalcino – wirklich ein Erlebnis!

Noch lange nach mir trudeln immer weiter Eroici im Ziel ein und werden gefeiert – bis dann irgendwann gegen 19 Uhr der Besenwagen hinter den beiden letzten 150-Kilometer-Startern auftaucht. Dann haben es jetzt alle geschafft, wie schön!

Später, frisch geduscht bei Pizza und Gelato muss ich wirklich darüber schmunzeln, an welch verrückte Orte mich der Radsport so bringt, während um uns herum immer noch die Party tobt. Und ich bin froh, dass ich hin und wieder einfach „Ja“ sage, wenn es darum geht, ein bisschen was zu wagen. Was für ein top-organisiertes Event in dieser so schönen toskanischen Landschaft. Und ein verrückter, herzlicher, lauter Haufen, diese Eroici – schön, jetzt eine von ihnen zu sein und die gemeinsame Freude am Leiden erlebt zu haben. Ich glaube, das mach ich wieder. Danke Radsport!


FAQ zur Eroica Montalcino


Welche Strecken gibt es bei der Eroica Montalcino?

Es gibt insgesamt fünf Strecken zur Auswahl.

Family Fun Route: 27 km mit 580 hm (12 km weiße Straßen)
Brunello Route: 46 km mit 900 hm (23 km weiße Straßen)
Short Route: 70 km mit 1300 hm (46 km weiße Straßen)
Medium Route: 96 km mit 1900 hm (63 km weiße Straßen)
Long Route: 153 km mit 3000 hm (75 km weiße Straßen)

Welche Ausrüstung braucht man für eine Eroica?

Die aktuellen Anforderungen sind immer in der Ausschreibung angegeben. Bei der Eroica in Montalcino sollte das Fahrrad und möglichst auch die restliche Ausrüstung mindestens 35 Jahre alt sein. Nur Fahrräder ohne Schalthebel sind erlaubt, also beispielsweise mit Rahmenschaltung. Auch Lycra ist sehr ungern gesehen – die Veranstalter behalten sich sogar vor, Teilnehmer*innen mit zu moderner Ausrüstung zu disqualifizieren.
Vor Ort können zeitgemäße Fahrräder geliehen werden, am besten aber frühzeitig drum kümmern!

Gibt es noch weitere Eroica-Veranstaltungen?

Die Eroica in Montalcino gibt es erst seit wenigen Jahren, sie ist quasi ein Spin-Off der „Original“-Eroica im toskanischen Gaiole, die seit 1997 teilweise auf den gleichen Strecken ausgetragen wird.
Es gibt zahlreiche weitere Eroica-Veranstaltungen in der ganzen Welt – beispielsweise in Südafrika, Japan, Spanien, in der Schweiz und auch im deutschen Eltville bei Frankfurt. Eine Übersicht über die aktuellen Events gibt es hier.

Was sind die Strade Bianche?

Eine Strada Bianca ist eine „weiße Straße“ – das sind die typischen feinen Schotterstraßen, die es in der Toskana sehr oft gibt. Meistens ist der Untergrund sehr gut zu befahren auch mit dünnen Reifen, hin und wieder kann es je nach Witterung aber auch tiefere Schotterstellen, Löcher oder Rinnen geben. Vorsicht ist also immer geboten. Die Profis fahren im Frühjahr auch über diese Straßen beim Frühjahrsklassiker „Strade Bianche“ mit Ziel in Siena.

Was muss man bei Rad-Events in Italien beachten?

Es gibt in Italien sehr viele wunderbare Gran Fondos für Radfahrer. Speziell zu beachten ist, dass man dafür dort ein Gesundheitszeugnis braucht, um an den Start gehen zu können. Die genauen Anforderungen findet man in der jeweiligen Ausschreibung. Für meine 96 Kilometer-Strecke in Montalcino brauchte ich beispielsweise eine Bescheinigung vom Hausarzt inklusive EKG, für die kürzeren Routen war ein Gesundheitszeugnis ohne EKG ausreichend.


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Transparenzhinweis: Die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Teilnahme wurden vom Veranstalter übernommen. Das hat keine Auswirkung auf meine Meinung.

Carolyn Ott-Friesl

Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine Ausrüstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*