Heute ist „Winter Bike To Work Day“ – ich war heute im Homeoffice, von daher brauchte ich mein Rad heute mal nicht. Aber prinzipiell fahre ich zu jeder Jahreszeit mit dem Rad ins BĂŒro. Und das ist objektiv betrachtet doch ein echter Luxus. Andere machen Urlaub, um das DrauĂen zu erleben. Fahren mit dem Auto ins Fitnessstudio, um dort zu strampeln. Beschweren sich, dass sie ja keine Zeit fĂŒr Bewegung hĂ€tten und sie der elendige Pendelweg so stresst.
Mit dem Fahrrad kann man das alles jeden Tag haben. Einfach so. Quasi jeden Tag ein Mikroabenteuer, die sind ja gerade so im Trend. Und auch, wenn hin und wieder (oder auch öfter) Autofahrer, schlechte Infrastruktur oder ganz mieses Wetter nerven, gibt es doch immer wieder Momente, die das alles vergessen machen.
Manchmal ist das fĂŒr mich die einzige Zeit am Tag, in der ich mich frei drauĂen bewegen und die Jahreszeiten wirklich erleben kann, anstatt sie nur aus dem BĂŒrofenster zu sehen. Dazu ist es fĂŒr den Kopf einfach nur wohltuend, sich nicht in den Stau zu stellen und einfach auf möglichst autofreien Wegen entlangzukurbeln. Das Jahr aus Radpendlersicht.
Sommer
Die Sonne wĂ€rmt schon morgens ganz ordentlich. Im T-Shirt fahre ich los und spĂŒre die Sonnenstrahlen auf der Haut. Nach der ĂŒberhitzten Nacht im Dachgeschoss ist der Fahrtwind sehr angenehm. Es hat schon ewig nicht mehr geregnet, meine chronisch vernachlĂ€ssigte Fahrradkette lĂ€sst mich das zu dieser Zeit besonders spĂŒren. Es kratzt und quietscht ganz schön, da brĂ€uchte es jetzt dringend einen Spritzer Ăl. Oder zumindest einen kleinen Sommerschauer, zur akustischen Beruhigung. Aber morgens bin ich zu knapp dran und nach Feierabend gibt es wĂ€hrend der langen Sommerabende so viele andere Dinge zu tun als die Kette zu ölen.
Der Sommer ist die Jahreszeit, in der ich am allerwenigsten verstehe, dass sich Menschen freiwillig in BlechbĂŒchsen drĂŒcken. Ein kleiner Schlenker hier, eine Alternativroute da, unterwegs mal kurz bei einer einladenden Sitzbank anhalten und den Sommersprossen beim Ploppen zusehen. Auf dem Weg zwei bis zwölf Kugeln Eis. Direkt nach der Arbeit zu Freunden zum gemĂŒtlichen Grillabend. Das Rad ist einfach unschlagbar beim sommerlichen FeierabendeinlĂ€uten.
Herbst
Es geht mir irgendwie jedes Jahr zu schnell. Mein Kopf ist gerade voll auf niemals endenden Sommer eingestellt, da werden schon im September die ersten BĂ€ume gelb, die Tage werden merklich kĂŒrzer und die Morgen werden kĂŒhler.
DafĂŒr werden auch die SonnenuntergĂ€nge spektakulĂ€rer – vielleicht auch nicht und ich bilde mir das nur ein, weil ich sie bewusster wahrnehme, wĂ€hrend ich nach Hause radle. Jedenfalls liebe ich das warme Herbstlicht, das alles irgendwie hĂŒbsch und friedlich aussehen lĂ€sst, die langen Schatten und die tief stehende Sonne.
So mancher Morgen wirkt langsam schon richtig frostig, obwohl es locker noch 10 Grad sind. Jedes Jahr wieder und jedes Mal frage ich mich, wie ich den Winter ĂŒberleben soll, wenn mich jetzt schon friert. Aber das sind eigentlich nur die ersten paar hundert Meter auf dem Rad. Danach reiĂe ich mir schon wieder die Jacke auf und die MĂŒtze vom Kopf, weil ich in meiner Panik vor der vermeintlichen KĂ€lte viel zu viel angezogen habe.
Zum Feierabend schaut manchmal der Sommer nochmal vorbei. Dann glĂŒhen alle Herbstfarben in der Abendsonne und auch, wenn der Morgen noch frostig war, reicht dann das T-Shirt, um die warmen Strahlen zu genieĂen.
Na gut – das ist natĂŒrlich der Bilderbuchherbst… An manchen Tagen kann ich den Herbst nicht so sehr genieĂen. Weniger wegen des Wetters, eher wegen der Wege. Immer öfter kommt ein StĂŒrmchen nachts zu Besuch und die Tage darauf ist ein Slalom nötig zwischen herabgefallenen Ăsten auf dem Radweg. Aber auch die werden irgendwann davongeweht… und dann kommen sie schon irgendwann wieder, die Bilderbuchherbsttage.
Winter
Verpackt und verschnĂŒrt wie ein ziemlich groĂes Weihnachtsgeschenk steige ich die Treppen zum Keller hinunter. Eine warme SchirmmĂŒtze, ein kuscheliger Schal, die dicke Jacke, grobe FĂ€ustlinge, eine Strumpfhose unter der Jeans, dicke Socken und die Winterstiefel. Komplett eingepackt. Nur die Augen und ein bisschen Nase schauen noch raus ĂŒber dem Schal.
Es ist noch nicht so richtig hell, also Fahrradlichter an, das Rad die Kellertreppe hinaufgetragen, TĂŒr auf und raus. Ich schlieĂe die TĂŒr hinter mir, blicke mich um, nicke dem Nachbarn zu. Rundherum krĂ€chzen Eiskratzer ĂŒber Autoscheiben, ich höre die Motoren, die im Stand schon minutenlang vor sich hin wummern, um das Auto auf Betriebstemperatur zu bringen. Ich muss nicht erst aufwĂ€rmen oder rumkratzen, ich stelle den FuĂ aufs Pedal und rolle einfach los. Dick eingepackt und mit sichtbarem Atem, der aus dem Schal quillt.
Die ersten Sekunden sind ein bisschen schockfrostig. Aber nach einigen hundert Metern taue ich schnell wieder auf. Vorsichtig manövriere ich um die Kurven, was nass aussieht, kann glatt sein. Aber wie bisher immer geht es gut aus. Ich kenne meine Ampelschaltungen und mit der flotten grĂŒnen Welle wird mir warm – so warm, dass ich manchmal sogar die Handschuhe ausziehen muss, trotz der Minusgrade. Ich flitze vorbei an Eisblumen, Ă€rgere mich hin und wieder ĂŒber die Schneeberge auf dem Radweg und freue mich aber doch noch viel mehr darĂŒber, kein Teil der bei KĂ€lte besonders stinkenden Abgaskarawane zu sein, an der ich vorbeihusche.
Ein bisschen bilde ich mir ein, sogar von den Autofahrern im Winter mehr Respekt entgegengebracht zu bekommen. Vielleicht sehe ich aber auch einfach nur gefĂ€hrlich aus, so als MichelinmĂ€nnchendouble mit BankrĂ€uberschal. Und die FahrradparkplĂ€tze sind im Winter garantiert nicht ĂŒberfĂŒllt. Angekommen im warmen BĂŒro kann ich mir anerkennender Blicke und warmer FĂŒĂe sicher sein. Und freue mich schon wieder auf die Heimfahrt, vielleicht ohne Sitzheizung, dafĂŒr auch ohne Feierabendstau.
FrĂŒhling
Der Schnee ist weg. Die Radwege immer noch voll. Leider noch nicht mit Fahrradfahrern, sondern mit Rollsplit. Es rumpelt ganz schön und ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Rumpelei solche Rennradreifen aushalten. Ăber Steinchen, Bordsteine, Schlaglöcher. Da nehme ich einiges mit, ich kann gerade nĂ€mlich nicht stĂ€ndig auf den Weg vor mir schauen, die aufblĂŒhende Natur fesselt meinen Blick. Hier ein BlĂŒmchen, da ein grĂŒnlicher Baum, die Sonne immer krĂ€ftiger.
Die Tage werden lĂ€nger, es ist eine richtige Befreiung, nach Feierabend immer öfter ohne Licht und ohne Jacke unterwegs zu sein. Wie soll man denn den FrĂŒhling erleben, wenn man nur eine schnöde Windschutzscheibe mit einem grauen Streifen davor hat? Und mit den ersten wĂ€rmenden Sonnenstrahlen fangen die Sommersprossen langsam wieder an zu ploppen… Ich freu mich auf den Sommer!
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Carolyn Ott-Friesl
Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine AusrĂŒstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*
Ein Gedanke zu “Mit dem Rad zur Arbeit – die Schönheit der Jahreszeiten”