Immer mal wieder bin ich um das Thema Brevet herumgeschlichen. Im Grunde eine richtig coole Sache. Trotzdem habe ich bisher irgendwie immer gezögert, mich bei einem Brevet anzumelden. GefĂŒhlt habe ich da nicht so viel verloren. Ich vermutete da eher gestandene Randonneure, die mit Ihrem Stahlrahmen verwachsen sind – und ein paar ganz wenige Ultracycling-Expertinnen wie Eva von takeshifaehrtrad.com, deren FĂ€higkeiten aber weeeeit ĂŒber meinen liegen. Vor allem, da ich seit Kind eher so 30-50 Kilometer als Standard-TourenlĂ€nge habe.
Was ist ein Brevet?
Ein Brevet ist eine Langstreckenfahrt mit mindestens 200 Kilometern auf einer vorgegebenen Strecke ohne Hilfe von auĂen – kein Rennen, sondern ein Nachweis der FĂ€higkeit, solch eine Distanz innerhalb einer definierten Zeit zu schaffen. Und damit kann man sich gegebenenfalls fĂŒr weitere Strecken bis zu 1500 Kilometer qualifizieren, vielleichst kennst Du ja die richtig bekannten Brevets wie Paris-Brest-Paris oder London-Edinburgh-London.
Wer ein Brevet absolviert hat, ist ein/e Randonneur/in. Den Nachweis, dass Du die Strecke wirklich gefahren bist, erbringst Du an festgelegten Kontrollstellen, entweder mit einem Stempel oder mithilfe der digitalen Brevetkarte. Nicht abschrecken lassen vom kompliziert wirkenden Prozedere, es ist wirklich gar nicht dramatisch! Termine fĂŒr Brevets findest Du beispielsweise hier.
200 Kilometer? Einfach mal anmelden.
Anfang des Jahres ploppte dann aber die „Werdenfelser Frauenrundfahrt“ ĂŒber Instagram bei mir auf, dank Sara Hallbauer, die das Event mit dem ARA MĂŒnchen ins Leben gerufen hat.
Ein Brevet nur fĂŒr Frauen? Coole Idee. Und mei, warum nicht? 200 Kilometer sind zwar viel, aber sooo viel jetzt auch nicht. 400 hab ich ja auch schon mal geschafft, auch, wenn die Vorbereitung damals ein kleeeines bisschen besser war. Dann melde ich mich halt mal an!
Meine Saison verlief bis zum Brevet eher mittel – gefahren bin ich wie immer zu wenig, ein paar Wochen vorher war ich noch krank, hab mich dann beim Rosenheimer Radmarathon noch reichlich schwer getan auf der 130-Kilometer-Runde (allerdings mit mehr Höhenmetern), Schlaf ist seit Kind sowieso eine wilde Sache. Aber hey, es geht ja um nix. AuĂer darum, Frauen fĂŒr die Langstrecke zu begeistern. Und das ist doch eine ehrenwerte Mission, egal wie weit ich dann komme.
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Brevet-Start mitten in MĂŒnchen
Also los. An einem schönen Samstag im Juli dĂŒse ich also morgens um 6 Uhr auf der Autobahn Richtung MĂŒnchen, auf der Gegenfahrbahn hat bereits der Stau Richtung Berge eingesetzt. Oder stehen die da noch von gestern? Ich hoffe nicht. Und ich hoffe, bis heute Abend sind die wieder weg.
In MĂŒnchen angekommen wird das mit der Parkplatzsuche meine erste groĂe Herausforderung. FĂŒnfmal im Kreis gefahren um den Start und WIRKLICH last minute finde ich doch noch einen Parkplatz, hole auf der letzten Rille die Startunterlagen, treffe noch kurz Sara auf dem Weg, schaffe noch einen Toilettenstop (peefriendly Bibs sind SO praktisch) und stehe nur 4 Minuten zu spĂ€t am Start. Top! Noch schnell die Strecke auf den Wahoo laden (ja, nicht einmal das hab ich geschafft đ ), die eben gekaufte Breze mit einem Baiki* am Lenker festmachen und ich mache mich mit ein paar versprengten weiteren Teilnehmerinnen auf den Weg.
Hinaus aus MĂŒnchen ist es etwas zĂ€h mit Ampeln, Kreuzungen, wilden Fahrradwegen – aber irgendwie vergehen die ersten 20 Kilometer in der Morgensonne unglaublich schnell. Ich komme direkt mit einigen der Frauen ins GesprĂ€ch und beglĂŒckwĂŒnsche mich selbst, dass ich mich hier angemeldet habe. Sehr nett alle!
Wir dĂŒsen vorbei am Starnberger See und langsam tauchen die Berge am Horizont auf. Die StraĂen werden hĂŒgeliger, die Gruppen mischen sich noch einmal durch an den Anstiegen und nach 68 Kilometern ist in Murnau direkt der erste Kontrollpunkt an einer Tankstelle erreicht. Was fĂŒr ein Anblick. So viele Radlfrauen aller Alters- und Fitnessstufen fröhlich plappernd und mampfend und ich hab direkt noch bessere Laune.
Ein paar Mal „Hallo“, „Kennen wir uns von Instagram?“, „Ach DU bist das mit dem Blog!“ und ich bin schon fast ĂŒberfordert von so viel Interaktion und lieben Worten und ĂŒberhaupt. (Falls ich jemanden nicht angemessen erkannt oder begrĂŒĂt oder zurĂŒckgegrĂŒĂt habe – sorry! Es war viel đ Aber ich hab mich SO gefreut, Euch alle mal „in echt“ zu sehen!)
Was ich beim Brevet dabei hatte
Es gibt bei Brevets eine PflichtausrĂŒstung, dazu gehört die Beleuchtung und die reflektierende Sicherheitsweste. Ich hatte auĂerdem noch fĂŒnf Riegel, zwei Flaschen, zwei ErsatzschlĂ€uche, Reifenheber, eine Minipumpe, einen Baiki-Spanngummi, Bargeld und die EC-Karte dabei. Damit fĂŒhlte ich mich gut gerĂŒstet, die Profis haben auch noch BowdenzĂŒge, ein Ersatz-Kettenglied oder sogar eine Ersatz-Speiche dabei. Das wĂ€re mir fĂŒr 200 Kilometer mit guter Bahn-Anbindung etwas zu gut ausgerĂŒstet vorgekommen. đ
Um alles unterzubekommen, habe ich mich nach langer Taschenverweigerung dafĂŒr entschieden, doch mal eine Oberrohrtasche zuzulegen. Deswegen hab ich last minute noch den Deuter Energy Bag 0,5l* bestellt – klein, aber gut riegelfassend. (Und noch ein Satz Rahmenschutzfolien* dazu, um den Lack unter die Riemen zu schĂŒtzen.)
Mal mit, mal ohne Begleitung unterwegs
Die nĂ€chste Kontrolle in Oberammergau ist gefĂŒhlt auch gleich da – ich fahre fast dran vorbei, bis ich im Augenwinkel eine Traube an Radfahrerinnen vor der Tankstelle bemerke. Puh, GlĂŒck gehabt! Nur kurz ein Foto fĂŒr den digitalen Brevetpass geschossen, nochmal Sonnencreme nachgelegt und weiter gehts. Ich fahre mal alleine los, bald soll der schwierigste Anstieg kommen, da werd ich sicher eh bald wieder eingeholt und bis dahin kann ich mich mal kurz gedanklich sortieren.
Es geht hinauf zum Kloster Ettal und fetzig hinunter. Ich ruckle ĂŒber das Pflaster in der idyllischen Altstadt von Garmisch-Partenkirchen und danach kommt der versprochene Anstieg. Immer wieder ĂŒber 10 Prozent – ich bin froh, dass ich dieses Bergauf inzwischen ein bisschen besser drauf hab als frĂŒher. Die StraĂe ist winzig, gerade einmal Platz fĂŒr ein Auto und eine Radfahrerin knapp nebeneinander, dennoch quetschen sich massig Autofahrer durch. Die Urlaubswelle ist wohl auf der HauptstraĂe gerade ein Urlaubs-Stehempfang.
Die Route schlĂ€ngelt sich danach auf dem Radweg neben der HauptstraĂe her, mal links, mal rechts, mal unten durch. Die Ausblicke werden spektakulĂ€rer und irgendwie schlieĂt immer noch keiner von hinten zu mir auf. Na gut, vielleicht haben einige ein bisserl Mittagspause gemacht.
Wie die schönsten Radlgeschichten beginnen
Irgendwann sammle ich Monika auf, die gerade ein Foto vom Karwendelgebirge macht, das sich jetzt vor uns auftĂŒrmt. „Soll ich ein Foto mit Dir drauf machen?“ – „Oh ja, gerne!“. So fangen die schönsten Radlgschichten an. Sie ist superfit und wahnsinnig nett und ich freu mich ĂŒber die Gesellschaft.
Wir ratschen vor uns hin, bis wir mit der Goas-Alm den nĂ€chsten Kontrollpunkt und höchsten Punkt der Tour erreicht haben. Die Wirtin scheint so semifroh ĂŒber den Radlerinnen-Andrang zu sein, und als ich zaghaft frage, ob ich das Eis auch mit einem groĂen Schein bezahlen darf, ist sie glaub ich kurz davor, mir statt Eis Hausverbot zu geben. Ich krieg dann mein Eis trotzdem noch, genieĂe den Ausblick, nicke rĂŒber zu Monika. „Wollen wir weiter?“ – „Los geht’s!“
Wir dĂŒsen bergab, drĂŒcken die letzten HĂŒgel weg, vorbei am Walchensee und am Kochelsee, wo der Badebetrieb auf Hochtouren lĂ€uft. Die Beine sind noch ganz gut, dafĂŒr, dass wir schon mehr als 150 Kilometer unterwegs sind. Da hab ich einen echt guten Tag erwischt.
35 Kilometer vor dem Ziel wartet der letzte Kontrollpunkt. „Ottis Eis & CafĂ©“ in Benediktbeuern. Ein groĂes Hallo, alle Ankommenden werden lautstark begrĂŒĂt und alle, die weiterfahren, fröhlich angefeuert. So viele gut gelaunte Rennradfrauen, es ist einfach schön. Ich gönne mir einen Eiskaffee und ein Spezi – I mean, wenn nicht heute, wann dann?
Und dann machen wir uns auf, um die letzten paar Kilometer in Angriff zu nehmen. Wir haben Lorenza jetzt auch mit dabei und so hangeln wir uns zu dritt Richtung Wolfratshausen. Nur noch 20. Noch 15, nur noch 10 Kilometer. Und plötzlich stehen wir in Wolfratshausen vor dem Bahnhof, sind verwirrt, weil uns allen noch 3 oder 4 Kilometer fehlen. In unserer Verwirrtheit werden wir erst einmal eingesammelt vom Brevet-Stempel-Beauftragten, der tapfer seinen Klapptisch am Bahnhof aufgebaut hat. „Gehörts Ihr zum Brevet? Dann kriegts jetzt erst einmal an Stempel und den SchĂ€ftlarner Berg schaffts Ihr auch noch.“
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S-Bahn oder doch noch weiter radeln?
Wir sind unentschlossen. Ich wollte eigentlich hier in Wolfratshausen in die S-Bahn einsteigen, weil ich nicht zu spĂ€t zuhause sein wollte und die Aussicht auf noch ein paar Höhenmeter in mir jetzt echt keine GlĂŒcksgefĂŒhle mehr auslöst – aber ein 200 Kilometer-Brevet mit 196 Kilometern beenden geht halt auch nicht. Sara stöĂt noch zu uns und wir beschlieĂen: Bis SchĂ€ftlarn fahren wir auf jeden Fall noch, damit wir dann auch mit der Zahl auf dem Computer zufrieden sein können. Dumm eigentlich, aber mei – wenn schon, denn schon.
Zu viert machen wir uns auf und treten weiter. Kleine Nebenwege, die Abendsonne lĂ€sst den Isarkanal glitzern, wir haben sogar RĂŒckenwind. Arg schön! Nur mein Bauch fĂ€ngt zu grummeln an. Ich werde still und nervös und ich merke, mir wird gleich schlecht.
In SchÀftlarn lasse ich die Gruppe fahren und brauche erst nochmal kurz eine Pause. Man sollte halt doch auf sich selbst hören. Und möööglicherweise nicht so viel Eiskaffee trinken bei so einer Aktion.
Egal. Ich quĂ€le mich nach HohenschĂ€ftlarn hinauf (eigentlich ist der HĂŒgel sogar ganz schön) und finde den Bahnhof, wo heute mein Abenteuer endet nach 210 Kilometern und etwa 1500 Höhenmetern. Es wĂ€re zwar jetzt echt nicht mehr weit zurĂŒck nach MĂŒnchen, aber ob mein Bauch heute noch da mitmacht, das bezweifle ich. Noch ein kurzer Stopp beim 3-Mills-Fahrradladen in MĂŒnchen, denn hier ist das offizielle Ziel und hier gibt’s noch ein Abschlussbier fĂŒr die Teilnehmerinnen.
Frauen fĂŒr Brevets begeistern? Mission erfĂŒllt
Trotz des finalen Magengrummelns bin ich ganz beseelt von diesem Tag. Alle waren gut gelaunt, einige von richtig weit her angereist, viele waren ganz ĂŒberrascht von sich selbst und was sie zu radeln fĂ€hig sind, die Strecke war wunderbar ausgesucht. Ein echt schönes Erlebnis! Und ich hoffe, es gibt eine Wiederholung und ein paar mehr Frauen können sich jetzt vorstellen, die MĂ€nnerdomĂ€ne Langstrecke fĂŒr sich zu erobern. Das war ziemlich sicher auch nicht mein letztes Brevet – und ich hab gehört, nĂ€chstes Jahr wird es möglicherweise ein Frauenbrevet in Berlin geben. Lasst Euch das nicht entgehen!
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Carolyn Ott-Friesl
Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine AusrĂŒstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*
Ein Gedanke zu “Mein erstes Brevet: 200 Kilometer bei der Werdenfelser Frauenrundfahrt”
Guten Morgen Carolyn
Hab gerade deinen Bericht gelesen. Sehr, sehr schön. Hoffe wir sehen uns nÀchstes Jahr in Berlin.
GrĂŒĂe an Ronja (und deinen Mann)
Carmen