Man erwartet ja, dass irgendetwas in der Luft liegt, wenn die Tour de France in der Stadt ist. Ein Gefühl, eine Euphorie, irgendeine Anspannung. Als ich am Vorabend des Prologs am Düsseldorfer Hauptbahnhof ankomme, ist noch nicht so viel davon zu spüren, dass hier am nächsten Tag eines der größten Sportereignisse der Welt losrollt.
Man sieht mal hier ein Teamfahrzeug, dort verstärkte Polizeipräsenz – aber sonst macht sich die bevorstehende Tour hauptsächlich mit der wegen der Streckensperrung umgeleiteten Tram bemerkbar, die nicht dahin fährt, wo sie hinsollte und mich auf Irrwegen durch Düsseldorf schickt. Alle Fahrgäste schimpfen, ich auch ein bisschen. So innerlich. Aber ist ja wegen der Tour. Da ist das ok.
Mythos Tour de France? Das schau‘ ich mir an!
Seit ungefähr 20 Jahren verfolge ich dieses Rennen im Fernsehen. Wie so viele von uns wahrscheinlich. Damals war ich 8 und mein Papa der größte TV-Sportfan, den ich jemals kennengelernt habe. Seitdem wusste ich: da will ich mal hin, zur Tour. Und tja, da bin ich nun in Düsseldorf, auf der Suche nach dem Tourfeeling – und dem Festivalgelände, zu dem mich die Tram nicht kutschieren wollte.
Ich darf als Tourmaker für Deutschland Deine Tour dabei sein beim Auftakt der Tour de France 2017 in Düsseldorf. Eine wunderbare Gelegenheit, um einerseits für die neue Auflage der deutschen Profirundfahrt zu trommeln (Nächstes Jahr im August, yeah!) und andererseits, naja, BEI DER TOUR zu sein! Verrückt.
Das Tourfeeling stellt sich aber dann irgendwie doch schnell ein. David, ein radbegeisterter Twitter-Mensch, empfängt mich direkt auf dem Festivalgelände und hach, Radsport verbindet eben. Mehr als eine Stunde unterhalten wir uns angeregt über dies und das und natürlich Radsport. Tour, ey!
Zwei, drei kurze Messages später bin ich in der Schicken Mütze gelandet. DER place to be, wurde mir gesagt. Und kaum bin ich da, finde ich Maren von ichhasselaufen.de, Annette von den Radflamingos und noch mehr tolle Menschen, die alle eine solche Tour-Vorfreude ausstrahlen, dass ich jetzt auch endgültig angekommen bin.
Bonjour le tour – Prolog
Eine recht kurze Nacht später mache ich mich auf. Tour de France. Es geht los. Nur eine U-Bahnstation von meinem Hotel entfernt. Jetzt muss die Stadt aber brodeln, oder? Hm. Nö. Um halb 10 ist das alles noch etwas lasch und leer, geregnet hat es auch schon. Na gut, sind ja auch noch ein paar Stunden bis zum Start.
Kurz beim Stand von Deutschland Deine Tour vorbeigeschaut und dann erst einmal zum Treffen des Cycling Magazins, wieder in der Schicken Mütze. Dort lerne ich endlich Christian vom Velohome-Podcast live und in Farbe kennen. Dank ihm hab ich mich mal vor ein Mikro getraut. Guter Typ! Und auch hier gilt: Radsport verbindet. Sehr nettes Gespräch, das müssen wir sehr bald wiederholen.
Die nächste Station ist das Village du Tour. In meinem Kopf war das immer ein Platz, an dem wunderbare Dinge passieren – Simon Geschke bekommt den Bart gemacht, lauter Radprofis tummeln sich hier und man entspannt beinahe glamourös vor dem Start. Die Realität: Es war verregnet, etwas trist, keine Radprofis – aber Essen! Immerhin.
Als nächstes beginnt meine höchst offiziös offizielle Aufgabe als Tourmakerin zusammen mit Stefan Schwenke, bekannt als Sprecher bei diversen Radrennen: Wir schleichen uns ins Fahrerlager und schnappen uns so viele bekannte Radsportgesichter wie möglich, um für #DeineTour zu trommeln.
Und ich finde, wir sind durchaus erfolgreich! Hanka Kupfernagel, Jule von juleradelt.de, John Degenkolb, Hennes Roth und viele mehr erklären sich bereit, mit schicker Deutschland-Deine-Tour-Brille in unsere Kamera zu lächeln und Werbung für die Deutschland Tour 2018 zu machen. Der Spielverderber-Pranger: Rolf Aldag und Brian Cookson. Ja, ich habe den UCI-Chef höchstpersönlich gefragt, ob er unsere bunte Brille aufsetzt. Aber er wollte nicht. Püh! Not my president!
Nebenbei ist es natürlich ziemlich cool, zwischen all den Teambussen rumzuspazieren und den Stars beim Aufwärmen zuzusehen. Auch faszinierend, wem man hier sonst über den Weg läuft. Auf einmal steht da zum Beispiel Michael Rasmussen neben Dir. Huch! (Nein, wir haben ihn nicht nach einem Brillenbild gefragt.)
Moment, da war doch noch so ein Rennen nebenan?
Irgendwann fällt uns auf, dass wir irgendwie noch gar nichts vom Prolog mitbekommen haben außer der an uns vorbei zum Start flitzenden Profis. Dann sollten wir uns doch mal an die Strecke begeben. Ziemlich cool: Trotz des Regens ist es so voll, dass es gar nicht so einfach ist, zur Strecke durchzukommen. Düsseldorf, Du rockst die Tour!
Irgendwie schaffen wir es doch, uns zum Ziel durchzukämpfen – und sehen die besten Fahrer unter verrücktem Jubel und durch hochspritzende Pfützen vorbeischießen. Unglaublich, was da los ist. Wir fiebern heftig, ob Tony Martin die beste Zwischenzeit im Ziel bestätigen kann – und ein enttäuschtes Raunen geht durchs Publikum, als der Sprecher verkündet, dass er auf dem dritten Platz eingefahren ist. Schade, das wäre natürlich das i-Tüpfelchen auf dem Düsseldorfer Grand Départ gewesen.
Während ich da so am Zielkanal auf den nächsten Fahrer warte, schweift mein Blick über die Häuser hinter uns. Das bringt mich zum nicht so schönen Teil der Tour: den massiven Sicherheitsmaßnahmen. Auf dem Dach des Gebäudes hinter uns stehen 5 vermummte Gestalten, die die Zuschauer mit Feldstecher beobachten. Schon vorher waren uns die massiven Durchfahrsperren an den Einmündungen zur Strecke aufgefallen. Düsseldorf geht auf Nummer sicher, das ist auch gut so. Aber der Anblick macht doch ein komisches Gefühl in der Magengegend.
Irgendwann ist dann mit Christopher Froome auch der letzte Fahrer durchs Ziel geschossen. Zack, so schnell ging das, schon ist der Prolog vorbei. Wir schlagen uns durch die Technik-Zone zur Siegerehrung. Man erwartet ja schon, dass da so 10 bis 12 Ü-Wagen rumstehen – aber das, was da rumsteht, ist ein eigenes Technik-Dorf! So langsam bekomme ich eine Vorstellung davon, welche Kleinstadt da jedes Jahr drei Wochen lang durch die Gegend gefahren wird.
Von weitem bekommen wir mit, wie Geraint Thomas das erste gelbe Trikot übergestreift bekommt – und ich bin jetzt erstmal hungrig und kaputt. Ab ins Hotel und bei geöffnetem Fenster den Schall des nahen Kraftwerk-Konzerts hereinlassen. Ja, guter Tag.
Etappe 2 – Werbekarawane und Stars am laufenden Band
Wie ich erst am Vorabend festgestellt habe, führt heute die Tour direkt an meinem Hotel vorbei – sogar der scharfe Start findet quasi unter meinem Hotelbett statt. Mensch, so nah dran muss man erstmal kommen an die Tour!
Aber ich will noch näher dran, deswegen geht es fast direkt zum Rheinufer, wo die Einschreibung und der neutralisierte Start geplant sind. Fast direkt deswegen, weil noch das Teamhotel von Bora-Hansgrohe und UAE auf dem Weg liegt. Die Bora-Jungs frühstücken direkt im Bus, lustig zu sehen. Da scheint die Info, dass das Hotelbuffet beim Raublinger Team gemieden werden sollte zugunsten der „Clean eating“-Philosophie, gar nicht so daneben zu sein.
Am Rheinufer ist zwei Stunden vor dem Start schon richtig viel los. In Dreierreihen stehen die Menschen jetzt schon vor der Bühne, toll! Ein kurzer Schauer kommt noch runter, aber danach ist der Wettergott doch ein bisschen Radsportfan.
Ich schmuggle mich mit meiner Akkreditierung hinein in den abgesperrten Bereich. Eine perfekte Entscheidung – denn kurz darauf donnert die Werbekarawane los. Professionelle Stimmungsmacher rauschen vorbei, mit den geworfenen Süßigkeiten und Werbeartikeln fühlt sich das fast ein bisschen wie Kölner Karneval an – nur mit Radsportbezug. Ich fange eine weiße Cap mit roten Punkten, eine Mickey-Maus-Tour-Sonderausgabe und noch ein paar mehr oder weniger nützliche Gimmicks. Mensch, wie ich mich über sowas freuen kann!
Ein paar Minuten später beginnt die Einschreibung für die Etappe. Oh mann, und was ein Glück, ich bin schon wieder perfektest platziert. Die Profis müssen an mir vorbei, wenn sie hier starten wollen. Und so plätschern die Radprofis auf die Bühne, direkt an mir vorbei. Mein Handy glüht und ich komme gar nicht mehr nach mit Gucken. Von den Wildcard-Teams über die deutschen Stars bis hin zum Weltmeister Sagan, alle fahren sie mir direkt vor die Linse. Besonders freut mich, wie der frisch gebackene Deutsche Meister Marcus Burghardt bejubelt wird – der ist ja schließlich unser Local Hero in der Rosenheimer Region. Schickes Trikot, Nachbar!
Vom Start zum Start – im Schweinsgalopp
Irgendwann hat auch die schönste Einschreibung ihr Ende und es ist Zeit für den neutralisierten Start. Da darf ich kleine Bloggerin leider nicht so nah ran, deswegen ist der Plan, so schnell es geht zumindest zum scharfen Start zu rennen. Die Hauptherausforderung ist erst einmal, aus dem abgesperrten Bereich rauszukommen. An einen Ausgang hat hier irgendwie niemand gedacht. Mein erster Kletterversuch wird von einem Ordner mit tadelnden Worten kommentiert, deswegen warte ich, bis er wegguckt und schwinge mich todesmutig über das Gitter. Ha!
Wo die Strecke lang geht, ist schnell klar. Denn auch hier stehen die Leute in mehreren Reihen an der Straße und zeigen mir so den Weg. Vielleicht sind wir ja doch ein kleines Radsportland? Ich finds super und hänge mich zusammen mit Stefan an eine sehr wichtig und zielstrebig aussehende Fotografin. Wir gehen offenbar als Assistenten durch und werden von den Ordnern nur ein bisschen von der Strecke gebrüllt.
Angekommen bei Kilometer 0 postieren wir uns und sogar die französischen Moto-Polizisten, die hier auf den Tour-Tross warten, grinsen wie die Honigkuchenpferde bei dem Trubel für ihre Tour. Endlich ist es soweit: Das rote Diréction-Fahrzeug kommt angerauscht, die Fahrer sprinten los – und schon sindse weg, die Jungs. Tja, und jetzt?
Danke, Düsseldorf!
Tatsächlich, ein bisschen Leere macht sich breit. Das soll es schon gewesen sein? Was bleibt, ist ein bisschen Wehmut. Man kann es fast Tourweh nennen, was ich in der Woche nach dem Grand Départ verspüre. Wem ich hier mit leuchtenden Augen erzähle, dass ich bei der Tour war, der reagiert oft mit leichtem Unverständnis auf meine Begeisterung. In Düsseldorf dagegen hab ich so viele Gleichgesinnte getroffen, die sofort auf der richtigen Wellenlänge lagen und mindestens genauso hell leuchtende Augen hatten beim Gedanken an die Tour de France.
Auf der anderen Seite bleibt die Freude über so viele begeisterte Zuschauer, trotz des Wetters und trotz völlig unterdurchschnittlichem deutschen Medieninteresse. Deutschland ist halt doch ein Radsportland, zumindest, wenn die Tour kommt. Die Begeisterung, die Radsportstars mal ganz nah zu erleben, lässt sich nicht klein kriegen.
Das stimmt mich positiv für „unser“ Radrennen nächstes Jahr – wenn die Deutschland Tour 2018 auch nur ein Stück der positiven Energie aus Düsseldorf abbekommt, dann wird das ein wunderschönes Event. Ich würde mich freuen, nächstes Jahr zum Finale in Stuttgart viele, viele von Euch Gleichgesinnten zu treffen – lasst uns zusammen mit leuchtenden Augen vom schönsten Sport der Welt schwärmen, ich hoffe, ihr seid dabei!
Carolyn Ott-Friesl
Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine Ausrüstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*
2 Gedanken zu “Grand Départ 2017: Die Tour de France in Düsseldorf”