Streckenplanung Deutschland Tour 2018: ein Radrennen entsteht

Nach sechs Stunden Zugfahrt treffe ich an einem Dezemberabend in Koblenz ein. Top secret, quasi in geheimer Mission. Gleich treffe ich nämlich hier, im zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlichten Startort der Deutschland Tour 2018, drei Männer, die eine wichtige Rolle bei einem der größten deutschen Radsportevents im Jahr 2018 spielen. In einer Pizzeria am Hauptbahnhof, in der die Pizzen doppelt so groß wie die Teller sind, finde ich die drei Streckenfinder der einzigen deutschen Männer-Profiradrundfahrt, denn ich darf sie am Tag darauf begleiten bei der Besichtigung der ersten Etappe von Koblenz nach Bonn.

 


Offizielle Tourmakerin der Deutschland Tour 2018 – warum ich hautnah berichten darf


 

Da ist Nicolas Hervé von der ASO, die die Deutschland Tour als Veranstalter ausrichtet. Albrecht Röder, der früher selbst mal fast Profi geworden wäre und schon unter anderem die Strecke der Stuttgarter Rad-WM 2007 sowie der Tour of Azerbaijan ausgesucht hat. Und Fabian Wegmann, ehemaliger Radprofi u.a. beim Team Gerolsteiner und ebenso verantwortlich für die Streckenplanung bei der Deutschland Tour.

Ganz klar, wenn vier radsportaffine Menschen zusammenkommen, dann geht es erst einmal um – Angeln? Tja, Fabian hat gerade den Angelschein gemacht, Nicolas hat in Norwegen mal einen Lachs gefangen, der so groß war, dass er sogar damit in der Zeitung war. Albrecht und ich schütteln nur noch ungläubig den Kopf, wohin sich dieses Gespräch entwickelt hat.

Als die Pizza-Wagenräder bezwungen sind und auf dem Tisch nur noch ein paar Tässchen Espresso stehen, wird es noch einmal ernst. Nicolas wirft einen kritischen Blick auf die ausgedruckten Streckenpläne – aber alles in Ordnung, das sieht gut aus. Und dann geraten Albrecht und Fabian ins Schwärmen. Was wäre, wenn die Teampräsentation direkt am Deutschen Eck stattfinden könnte? Ende August, spektakuläre Kulisse, das klingt doch nach Sommermärchen! Das soll morgen unser erster Stopp werden.

Später im Hotel gibts noch eine nette Überraschung, denn nur ein paar hundert Meter entfernt leuchtet mir der Schriftzug vom Canyon-Hauptquartier entgegen. Also mehr Radsport geht wirklich nicht. <3

Träumen von der Teampräsentation am Deutschen Eck

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen legen wir gleich los. Zunächst zum möglichen Ort der Teampräsentation, dem Deutschen Eck. An diesem Dienstagmorgen, gegen halb neun, ist es noch ziemlich leer und der Himmel bewölkt, Fabian und Albrecht deuten eifrig hin und her und reden auf den Franzosen ein. Hier könnte die Bühne stehen. Und da, von den Treppen aus, könnten die Zuschauer alles perfekt verfolgen. Das würde wunderbare Fernsehbilder geben! Kommt eigentlich der große LKW hier durch? Nicolas nickt. So könnte das klappen.

Wir laufen einmal rum, ums Deutsche Eck, wo Mosel und Rhein zusammenkommen, und machen uns dann auf den Weg. Schließlich liegen mehr als 150 Kilometer vor uns. Klingt erst einmal nicht viel, wenn man mit dem Auto unterwegs ist. Aber auf der Strecke gibts viel zu tun.

Wie plant man eine Strecke für eine Profiradrundfahrt?

Aber wie fängt man eigentlich an, wenn man eine Strecke für eine Profiradrundfahrt plant? Ganz klar, zunächst müssen die Etappenstädte stehen. Das war bei der Deutschland Tour 2018 aus unterschiedlichen Gründen recht spät der Fall. Es ist nun einmal nicht so einfach, ein Radrennen nach zehn Jahren wieder zu beleben und ganze Regionen von der Faszination Radsport zu überzeugen – trotz des Grand Départs in Düsseldorf im letzten Jahr.

„Idealerweise können wir bereits ein Jahr vorher mit der Streckenplanung anfangen“, erklärt Albrecht. Danach kommt es auf die gewünschte Charakteristik an, die soll bei der Deutschland Tour in Richtung Klassiker gehen. Insgesamt nicht zu leicht, aber auch nicht zu schwer – genau das richtige Terrain für die deutschen Stars wie John Degenkolb oder Tony Martin. Und natürlich soll es schöne Sprintankünfte für Sprinter wie Marcel Kittel oder André Greipel geben. Um die Spannung hochzuhalten, sollen auch die Ausreißer mal eine Chance bekommen.

Albrecht Röder plant zusammen mit Fabian Wegmann die Strecke für die Deutschland Tour.

Auf dieser Grundlage haben Albrecht und Fabian dann die Etappenstädte sinnvoll miteinander verbunden. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle: es muss passen für die gastgebenden Städte, die Sponsoren, für Zuschauer, die übertragenden Sender und natürlich für die Fahrer selbst. Die erste Planung passiert erst einmal am Computer mit einer Kartensoftware, danach werden die Strecken ein paar Mal mit dem Auto abgefahren. So kann man direkt Schwachstellen und gegebenenfalls Alternativrouten finden.

 


Hier geht’s lang! Die Strecke der Deutschland Tour 2018


 

Wir schlängeln uns hinaus aus Koblenz, vorbei an Sponsoren-Hauptquartieren und Sehenswürdigkeiten. „Hier wäre dann der scharfe Start“, sagt Albrecht. Wir stürmen aber nicht los, wie es die Fahrer wohl am 23. August 2018 machen werden, sondern halten erst einmal am Straßenrand, so wie im Laufe des Tages an jedem Ortsschild oder anderem wichtigen Punkt. Nicolas notiert sich akribisch jeden Ortsnamen und jeden Kreisverkehr in sein Notizheft, zusammen mit dem aktuellen Kilometerstand und der Höhe. Das dauert manchmal ein paar Minuten, denn die deutschen Ortsnamen sind für den Franzosen eine echte Herausforderung. Aber die Mühe lohnt sich, schließlich wird mit diesen Infos später die Marschtabelle der Etappe erstellt.

Ein Highlight für Nicolas und seine Notizen – quasi der Endgegner in Sachen deutsche Ortsnamen!

Wo wirds gefährlich für die Radprofis?

Was jetzt – neben der passenden Geraden für die erste Sprintwertung – im Fokus der Streckenplaner steht, sind Hindernisse, die die Sicherheit der Fahrer gefährden könnten. Gerade die Elemente, die zur Verkehrsberuhigung beitragen und oft auch Radfahren im Alltag sicherer machen sollen, sind für Rennstreckenplaner ein Horror. Wo ragt ein Bordstein in die Fahrbahn, wo lauern Kreisverkehre oder Straßenteiler und kann man diese Poller eigentlich entfernen, ohne dass ein Loch im Boden bleibt? Alle kritischen Punkte werden akribisch notiert, damit man sich später mit den Kommunen in Verbindung setzen kann.

 

Poller im Weg!

 

Es geht weiter, weg von Koblenz durch das idyllische Lahntal, das sich Richtung Limburg schlängelt – natürlich kommen wir da nicht ohne Bischofs-Badewannenwitz aus.

Albrecht erklärt mir, dass es in Frankreich viel einfacher wäre, Gefahrenstellen direkt beim Planen zu erkennen. Dort sind beispielsweise Kreisverkehre direkt in einem zentralen Register vermerkt. In Deutschland gibt es sowas nicht – da hilft es nichts: für diese Infos muss die Strecke einfach abgefahren werden.

Aber nicht nur Kreisverkehre machen Albrecht und Fabian das Leben schwer. Gefährlich sind auch Feuerwehr- und Krankenhausausfahrten – wenns hier mal kritisch wird und Rettungskräfte ausrücken müssen, rückt das Radrennen natürlich in den Hintergrund. Deswegen wird schon vorher versucht, solche Hot Spots weiträumig zu umfahren.

Bahnübergänge stehen im Fokus der Streckenplaner.
Bahnübergänge stehen im Fokus der Streckenplaner.

Warum auch Zugfahrpläne eine Rolle spielen bei der Streckenplanung? Ganz einfach: Bahnübergänge. Gleise sind ohnehin der natürliche Feind des Radfahrers und für ein Radrennen wird sicherlich kein Zug angehalten – wir erinnern uns alle an die doofe Situation bei Paris-Roubaix im Jahr 2015, als ein Zug einen Teil des Feldes stoppte und einige Fahrer im Adrenalinnebel die geschlossene Schranke ignorierten. Das sollte bei der Deutschland Tour natürlich nicht passieren. Natürlich wird auch jeder Bahnübergang akribisch notiert, um später die Zugfahrpläne noch einmal zu checken, damit sich Radfahrer und Züge nicht in die Quere kommen.

Ich frage Fabian, ob er ein bisschen wehmütig ist und selbst gern mitfahren würde oder ob er sich eher über die ein oder andere Gemeinheit freut, die er den ehemaligen Kollegen in den Weg stellen kann? „Das wird eine richtig schöne Tour, aber selber mitfahren muss ich da nicht mehr“, sagt er. Er und Albrecht bekommen richtig leuchtende Augen, als ich sie nach den Highlights frage – es scheint, als bestehe diese Tour nur aus Highlights. 🙂

Fabian kommt mir übrigens wie ein wandelndes Radportlexikon vor. Als ich ihm erzähle, wie ich ihn 2005 bei der Deutschland Tour (so schließt sich der Kreis…) zum ersten Mal im Rennen erlebt habe, kann er mir nach kurzem Nachdenken direkt die Etappenorte und -sieger nennen. Nicht schlecht, ist ja immerhin auch schon ein paar Jährchen her. Und dass er am Bretterschachten damals DIREKT an mir vorbei gefahren ist, war für mich vermutlich ein eindrücklicheres Erlebnis als für ihn. 😉

Sprint, Bergwertung, Verpflegung – an alles gedacht!

In einem Bogen geht es jetzt Richtung Nordwesten – schließlich müssen wir nach Bonn und die ein oder andere Bergwertung will noch gefunden werden. An einem leichten, langgezogenen Anstieg scheint der perfekte Ort für die Verpflegungszone während des Rennens zu sein. Damit ist dieser Punkt auch abgehakt. Aber nach einigen Kilometern stellt sich uns noch etwas anderes in den Weg: eine Baustelle. Tja – die Straße ist quasi weg und hier soll im August ein ganzes Feld von Radfahrern durchrauschen. Hilft nichts, mit dem Auto kommt man hier nicht durch, also nimmt Fabian das Tablet, das Nicolas zur Streckenaufzeichnung nutzt, springt aus dem Auto und marschiert kurzerhand los.

Hier soll im August ein Profiradrennen stattfinden?

Danach hüpft er wieder rein ins Auto und weiter gehts, bis zum nächsten Ortsschild. Immer, wenn wir anhalten, fahren irgendwie vor allem Rentner langsam an uns vorbei und linsen neugierig in unser Auto hinein, was wir da wohl so lange treiben, vor dem Ortsschild. Nicolas hat es wirklich nicht leicht mit Ortsnamen wie Döttesfeld oder Puderbach.

Nach und nach werden die Orte wieder größer, die Straßen werden belebter, langsam rollen wir auf den Zielort Bonn zu. Am Ortseingang ist alles Magenta, die Telekom beherrscht die Gegend hier eindeutig. Wir biegen auf die Adenauerallee ein. Hier werden am 23. August hoffentlich viele, viele Menschen am Straßenrand stehen, natürlich idealerweise bei bestem Wetter. Die Pros werden um den ersten Etappensieg beim Comeback der Deutschland Tour sprinten und im Idealfall jubelt einer der Lokalmatadoren. Mein Kopfkino steht – eine richtig tolle Vorstellung, das kann nur gut werden!

Kurz danach ist meine Zeit der Streckenbesichtigung vorbei – ich muss die drei Streckenplaner ziehen lassen. Es ist bereits Abend, die Sonne geht bald unter und wir haben die erste Etappe geschafft. Albrecht, Fabian und Nicolas werden in den nächsten Tagen noch die restlichen Etappen befahren – und am liebsten würde ich mitkommen. Ich wäre so gespannt auf die restlichen Etappen, auf die Ankünfte in Trier, Merzig und die letzte Etappe von Lorsch nach Stuttgart! Aber ich hüpfe in der Nähe des Bonner Bahnhofs aus dem Auto, winke den Dreien noch einmal und mache mich auf den Weg zum Zug. Und ich weiß ganz genau: Das wird eine großartige Deutschland Tour. Hach, ich freu mich drauf!

Deutschland Tour 2018

Carolyn Ott-Friesl

Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine Ausrüstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*