„We make you faster“ lautet das Versprechen, das Sportbekleidungshersteller Bioracer seinen Kunden gibt. Ganz schön ambitioniert, schlieĂlich gibt es Fahrradbekleidung wie Sand am Meer – was machen die Belgier also anders als andere Hersteller? Ich durfte das Bioracer Hauptquartier in Tessenderlo einen Tag lang besuchen und habe mir angesehen, was hinter der Marke und dem Claim steckt.
Mit einem Wintereinbruch wurde ich schon am Vortag in Belgien beim Cyclocross Rennen in Overijse begrĂŒĂt und das Bioracer-Hauptquartier, direkt an der Autobahn unweit von Zolder gelegen, ist weiĂ ĂŒberzuckert. DafĂŒr ist es drinnen schön warm und meine Schuhe sind auch schon fast wieder schlammfrei. Birgit Schlaak – Bioracer-Vertriebschefin in Deutschland und unsere sehr herzliche Reiseleitung fĂŒr diesen Belgientrip – stattet mich gleich mit einem Kaffee aus, wĂ€hrend ich inmitten der neusten Produkte auf den Start der WerksfĂŒhrung warte. Rundherum leuchten im Empfangsbereich die Erfolge, die die Bioracer-Athleten bereits einfahren konnten, darunter Kristina Vogel, Lisa Brennauer, Tony Martin. Sie alle trugen bei einigen ihrer gröĂten Erfolge das Bioracer-Logo auf der Brust.
Biomechanik und moderne Textilien
Der GrĂŒnder und CEO von Bioracer Raymond Vanstraelen ist wĂ€hrend der WerksfĂŒhrung auch im Haus und schaut immer mal wieder vorbei, ob alles in Ordnung ist. Er war selbst frĂŒher ambitionierter Rennfahrer und entdeckte damals die Biomechanik als Steckenpferd fĂŒr sich. 1985 grĂŒndete er Bioracer, anfangs mit Schwerpunkt auf Bikefitting, also der optimalen Verbindung von Sportler und SportgerĂ€t.
ZunĂ€chst entwickelte Bioracer eigene FahrrĂ€der, ein Positionsmesssystem oder Fahrradschuhe – der Schwerpunkt verlagerte sich aber schnell auf die Textilien, fĂŒr die die Belgier heute bekannt sind. Im Textilbereich bestand riesiges Potential, schlieĂlich war das damals die Zeit von Baumwolle und Leder – weit vom heutigen Hightech-Funktionsmaterial entfernt.
Heute geht Bioracer jedoch wieder zurĂŒck zu den Wurzeln: FĂŒr alle, die ihre Performance auf dem Rad auch in den letzten Details optimieren möchten und rund 1000 Euro ĂŒbrig haben, bietet Bioracer ein Motion Aerofitting an. Dabei wird man in der Zentrale in Tessenderlo vermessen, die Sitzposition wird mithilfe eines ausgeklĂŒgelten 3D-Systems optimiert und der Athlet oder die Athletin kann dann zwei ZeitfahranzĂŒge mit nach Hause nehmen, die perfekt auf die eigene Position abgestimmt sind.
Hightech und stetige Innovation
Bioracer hat den Anspruch, sich durch Innovationen von den anderen Herstellern abzuheben. Im nahen BikeVille Incubator steht fĂŒr die ĂberprĂŒfung der Eigenentwicklungen sogar ein Windkanal zur VerfĂŒgung – der Incubator ist ein GrĂŒnderzentrum fĂŒr Start-Ups rund ums Fahrrad und wurde unter anderem von der flĂ€mischen Regierung finanziert. Auch die Firmen Ridley und Lazer testen hier ihre Produkte. Da in der Gegend so viele Fahrradunternehmen ihren Sitz haben, spricht man hier auch vom Bike Valley.
Allerdings ist bei Bioracer der Innovationsanspruch und das Motto „We make you faster“ nicht nur auf die Aerodynamik bezogen. Dazu gehören auch Stoffe, die beispielsweise Höchstleistungen in groĂer Hitze ermöglichen (siehe die Stoffe fĂŒr die Weltmeisterschaft in Katar, mehr dazu im Bericht zur Eurobike 2017) oder Stoffe, die bei widrigsten Wetterbedingungen das Fahren drauĂen und so effizientes Training im Winter erlauben. Stijn zeigt uns stark reflektierendes Pixelgewebe, das den Radfahrer auch bei Dunkelheit möglichst sichtbar machen soll. DarĂŒber hinaus beeindruckt uns das Tempest-Material, auf dem Wassertropfen einfach lotusartig herumrollen.
Besonders stolz ist Bioracer auf die stets optimierten, selbstentwickelten Sitzpolster. Angeblich kommen sogar einige Radprofis zu Bioracer, um die Sitzpolster in die Teambekleidung einnĂ€hen zu lassen, obwohl Bioracer gar nicht offiziell der AusrĂŒster ist – natĂŒrlich heimlich, damit der eigentliche Bekleidungssponsor nicht in schlechtem Licht dasteht. đ
Custom Teambekleidung: Vom Entwurf zum Druck
Den weitaus gröĂten Teil des Umsatzes macht bei Bioracer aber nicht die High-End-Spezialbekleidung oder die jĂ€hrliche Kollektion aus, sondern die individuell gestaltbare Teambekleidung, in die die Innovationen nach und nach einflieĂen. Wer bei der Teambekleidung denkt, dass die IndividualitĂ€t verloren geht, der irrt sich: Es gibt zig unterschiedliche GröĂen- und Stoffoptionen zur Auswahl, von Mesh bis Aero.
Wie die Custom Teambekleidung bei Bioracer hergestellt wird, darĂŒber gibt uns Stijn einen schönen Ăberblick und ich darf als tolle Ăberraschung live miterleben, wie mein eigenes, individuelles Ciclista.net-Trikot entsteht.
ZunĂ€chst besuchen wir die Design-Abteilung. Hier fĂ€llt der Startschuss fĂŒr die Realisierung der individuellen Teambekleidung. Die Vorstellungen der Kunden werden von rund 20 Designern umgesetzt, die teilweise in Tessenderlo, teilweise auch direkt in den weiteren ZielmĂ€rkten wie Deutschland oder Frankreich sitzen und direkten Kontakt zu den Kunden halten. Bei den DesignwĂŒnschen sind ĂŒbrigens nicht nur nationale, sondern sogar regionale Unterschiede zu erkennen, wie Stijn und Birgit schmunzelnd erklĂ€ren. Im SĂŒden Deutschlands seien die Designs beispielsweise gewagter und bunter, wĂ€hrend in Norddeutschland die klassischen Modelle gefragter seien.
Das Design, am Computer erstellt, wird dann eine Etage tiefer mit groĂen Druckern auf spezielles Papier aufgebracht. Bis vor wenigen Jahren wurde das noch mit dem aufwĂ€ndigen Siebdruck-Verfahren gemacht. Jede Farbe musste von Hand angemischt werden, was einen Aufpreis fĂŒr jede einzelne Farbe bedeutete. So richtig bunte Designs waren also fast unbezahlbar.
Sublimationsdruck macht auch bunte Trikotdesigns erschwinglich
Heute wird bei Bioracer digital und mit der Sublimationsmethode gearbeitet. Das bedeutet, die Farbe wird zunĂ€chst auf spezielles Papier gedruckt. Um nicht zu viel vom teuren Papier zu verschwenden, ist das Anordnen der unterschiedlichen Druckelemente (Seitenteile, Ărmel etc.) ein Puzzlespiel: So eng wie möglich, so weit auseinander wie nötig. Mehrere groĂe GerĂ€te mit Farbpatronen obenauf drucken stetig vor sich hin.
Die bedruckten Papierrollen werden dann in der Halle nebenan weiterverarbeitet, hier kommt die Farbe mit dem Stoff zusammen. Wer glaubt, in einen Rennradreifen kommt viel Druck, der hat noch nichts vom Sublimationsverfahren gehört. Mit 200 Bar und bei ca. 200 Grad wird die Farbe bei diesem Verfahren in den Stoff gepresst. Das hĂ€lt! Druck und Hitze verbinden den Stoff so gut mit der Farbe, dass die Textilien ĂŒber mehrere Jahre lang nicht an Leuchtkraft einbĂŒĂen sollen, genauer gesagt ĂŒber vier Jahre bei einer WĂ€sche pro Woche.
WĂ€hrend wir am Sublimationsdrucker stehen, kommen vor meinem eigenen Ciclista.net-Trikotset gerade Teile eines wohlbekannten Teamtrikots raus – grĂŒn, weiĂ, Dimension Data! Vielleicht haben wir also gerade die Entstehung eines Trikots miterlebt, mit dem Marc Cavendish diese Saison mal ein Rennen gewinnt. Wer weiĂ đ
Magie an der NĂ€hmaschine
Die Jungs und MĂ€dels an den NĂ€hmaschinen in einem anderen Teil der Werkshalle arbeiten hochkonzentriert und grinsen nur hin und wieder kurz rĂŒber, wenn ich die flotten Arbeitsschritte mit der Kamera festhalte. Ich stehe staunend daneben, wĂ€hrend die einzelnen Stoffteile meines Ciclista.net-Trikots flink miteinander verbunden werden.
GenÀht werden viele Teile direkt vor Ort in Tessenderlo, Bioracer lÀsst inzwischen aber auch in Tunesien, RumÀnien und der Tschechischen Republik fertigen. Das Auftragsaufkommen wÀre sonst nicht zu bewÀltigen.
Wie auf Kommando stĂŒrmen plötzlich alle NĂ€her/innen raus aus der Halle, ich schaue wohl etwas irritiert – „Pausen und der Feierabend werden hier sehr ernst genommen“, grinst Birgit, Ăberstunden gebe es in Belgien quasi nicht. Coole Sache, und scheint zu funktionieren!
Nach dem NĂ€hen kommt die Endkontrolle; schon ist die Sportbekleidung fertig und wird vom Logistikzentrum in Tessenderlo an die Kunden verschickt – auch die Bekleidung, die aus den FertigungsstĂ€tten im Ausland kommt, macht vor dem Versand an den Kunden immer Station in Belgien, so wird die QualitĂ€t gesichert. Mein Trikotset wird ebenso noch einmal kritisch begutachtet, bevor es mir ĂŒbergeben wird. Ich bin sehr zufrieden – schickes Design und die Passform stimmt. Das Trikotset wird einige EinsĂ€tze bekommen dieses Jahr!
„Man is the measure of all things“
Es mag angesagtere und es mag gĂŒnstigere Radbekleidung auf dem Markt geben. Was mir bei Bioracer allerdings gefallen hat, sind der Optimierungswille und die Leidenschaft fĂŒr den Sport, die hinter den Produkten stehen und die die Mitarbeiter ausstrahlen, denen wir in Tessenderlo bei der Arbeit ĂŒber die Schulter schauen durften. Nichts wird hier dem Zufall ĂŒberlassen, der Sportler wird ganzheitlich gesehen, vom individuellen Design ĂŒber die effiziente Produktion der Teambekleidung bis hin zur Hightechentwicklung im Spitzenbereich und der Biomechanik.
Bei aller Materialkunde hat Bioracer aber nicht vergessen, fĂŒr wen die Innovationen sich letztendlich auszahlen sollen: Den Athleten und die Athletin, egal ob Profi oder Vereinsfahrer/in. Stilisiert ist das Bioracer-Logo passend dazu an den vetruvianischen Menschen von da Vinci angelehnt: Der Mensch steht bei aller Wissenschaft im Mittelpunkt; „Man is the measure of all things“ steht in groĂen Lettern im Eingangsbereich. Ich werde in Zukunft gerne an meinen Tag bei den innovativen Belgiern denken, wenn ich mal wieder eine/n Athleten/in mit Bioracer-Logo auf der Brust jubeln sehe. Ich bin mir sicher: lange muss ich da nicht warten.
Transparenzhinweis: Alle Kosten der Reise wurden von Bioracer ĂŒbernommen.
Carolyn Ott-Friesl
Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine AusrĂŒstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*
4 Gedanken zu “Zu Besuch bei Bioracer in Tessenderlo: Innovative Radbekleidung aus dem Bike Valley”
Spannend! Das ist ein toller Bericht & was fuer ein megatolles Trikot, sehr cool!