Zu Besuch bei Bioracer in Tessenderlo: Innovative Radbekleidung aus dem Bike Valley

„We make you faster“ lautet das Versprechen, das Sportbekleidungshersteller Bioracer seinen Kunden gibt. Ganz schön ambitioniert, schließlich gibt es Fahrradbekleidung wie Sand am Meer – was machen die Belgier also anders als andere Hersteller? Ich durfte das Bioracer Hauptquartier in Tessenderlo einen Tag lang besuchen und habe mir angesehen, was hinter der Marke und dem Claim steckt.

Bioracer Headquarter Tessenderlo

 

Mit einem Wintereinbruch wurde ich schon am Vortag in Belgien beim Cyclocross Rennen in Overijse begrüßt und das Bioracer-Hauptquartier, direkt an der Autobahn unweit von Zolder gelegen, ist weiß überzuckert. Dafür ist es drinnen schön warm und meine Schuhe sind auch schon fast wieder schlammfrei. Birgit Schlaak – Bioracer-Vertriebschefin in Deutschland und unsere sehr herzliche Reiseleitung für diesen Belgientrip – stattet mich gleich mit einem Kaffee aus, während ich inmitten der neusten Produkte auf den Start der Werksführung warte. Rundherum leuchten im Empfangsbereich die Erfolge, die die Bioracer-Athleten bereits einfahren konnten, darunter Kristina Vogel, Lisa Brennauer, Tony Martin. Sie alle trugen bei einigen ihrer größten Erfolge das Bioracer-Logo auf der Brust.

 

Bioracer Belgien Werksbesichtigung

 

Bioracer Eurobike 2017
Rücklick Eurobike – Dieser Stoff wurde von Bioracer für die Rad-WM in Katar entwickelt: Er speichert Feuchtigkeit dauerhaft und soll so auch bei großer Hitze kühlen.

Biomechanik und moderne Textilien

Der Gründer und CEO von Bioracer Raymond Vanstraelen ist während der Werksführung auch im Haus und schaut immer mal wieder vorbei, ob alles in Ordnung ist. Er war selbst früher ambitionierter Rennfahrer und entdeckte damals die Biomechanik als Steckenpferd für sich. 1985 gründete er Bioracer, anfangs mit Schwerpunkt auf Bikefitting, also der optimalen Verbindung von Sportler und Sportgerät.

Zunächst entwickelte Bioracer eigene Fahrräder, ein Positionsmesssystem oder Fahrradschuhe – der Schwerpunkt verlagerte sich aber schnell auf die Textilien, für die die Belgier heute bekannt sind. Im Textilbereich bestand riesiges Potential, schließlich war das damals die Zeit von Baumwolle und Leder – weit vom heutigen Hightech-Funktionsmaterial entfernt.

Heute geht Bioracer jedoch wieder zurück zu den Wurzeln: Für alle, die ihre Performance auf dem Rad auch in den letzten Details optimieren möchten und rund 1000 Euro übrig haben, bietet Bioracer ein Motion Aerofitting an. Dabei wird man in der Zentrale in Tessenderlo vermessen, die Sitzposition wird mithilfe eines ausgeklügelten 3D-Systems optimiert und der Athlet oder die Athletin kann dann zwei Zeitfahranzüge mit nach Hause nehmen, die perfekt auf die eigene Position abgestimmt sind.

Hightech und stetige Innovation

Bioracer hat den Anspruch, sich durch Innovationen von den anderen Herstellern abzuheben. Im nahen BikeVille Incubator steht für die Überprüfung der Eigenentwicklungen sogar ein Windkanal zur Verfügung – der Incubator ist ein Gründerzentrum für Start-Ups rund ums Fahrrad und wurde unter anderem von der flämischen Regierung finanziert. Auch die Firmen Ridley und Lazer testen hier ihre Produkte. Da in der Gegend so viele Fahrradunternehmen ihren Sitz haben, spricht man hier auch vom Bike Valley.

BikeVille Incubator im Bike Valley
Das Gründerzentrum für Fahrrad Startups: BikeVille Incubator.
Windkanal BikeVille Incubator
So sieht das also in einem Windkanal aus – hoffentlich geht der nicht plötzlich an!

Allerdings ist bei Bioracer der Innovationsanspruch und das Motto „We make you faster“ nicht nur auf die Aerodynamik bezogen. Dazu gehören auch Stoffe, die beispielsweise Höchstleistungen in großer Hitze ermöglichen (siehe die Stoffe für die Weltmeisterschaft in Katar, mehr dazu im Bericht zur Eurobike 2017) oder Stoffe, die bei widrigsten Wetterbedingungen das Fahren draußen und so effizientes Training im Winter erlauben. Stijn zeigt uns stark reflektierendes Pixelgewebe, das den Radfahrer auch bei Dunkelheit möglichst sichtbar machen soll. Darüber hinaus beeindruckt uns das Tempest-Material, auf dem Wassertropfen einfach lotusartig herumrollen.

Sitzpolster Bioracer

Besonders stolz ist Bioracer auf die stets optimierten, selbstentwickelten Sitzpolster. Angeblich kommen sogar einige Radprofis zu Bioracer, um die Sitzpolster in die Teambekleidung einnähen zu lassen, obwohl Bioracer gar nicht offiziell der Ausrüster ist – natürlich heimlich, damit der eigentliche Bekleidungssponsor nicht in schlechtem Licht dasteht. 😉

Custom Teambekleidung: Vom Entwurf zum Druck

Den weitaus größten Teil des Umsatzes macht bei Bioracer aber nicht die High-End-Spezialbekleidung oder die jährliche Kollektion aus, sondern die individuell gestaltbare Teambekleidung, in die die Innovationen nach und nach einfließen. Wer bei der Teambekleidung denkt, dass die Individualität verloren geht, der irrt sich: Es gibt zig unterschiedliche Größen- und Stoffoptionen zur Auswahl, von Mesh bis Aero.

Wie die Custom Teambekleidung bei Bioracer hergestellt wird, darüber gibt uns Stijn einen schönen Überblick und ich darf als tolle Überraschung live miterleben, wie mein eigenes, individuelles Ciclista.net-Trikot entsteht.

Zunächst besuchen wir die Design-Abteilung. Hier fällt der Startschuss für die Realisierung der individuellen Teambekleidung. Die Vorstellungen der Kunden werden von rund 20 Designern umgesetzt, die teilweise in Tessenderlo, teilweise auch direkt in den weiteren Zielmärkten wie Deutschland oder Frankreich sitzen und direkten Kontakt zu den Kunden halten. Bei den Designwünschen sind übrigens nicht nur nationale, sondern sogar regionale Unterschiede zu erkennen, wie Stijn und Birgit schmunzelnd erklären. Im Süden Deutschlands seien die Designs beispielsweise gewagter und bunter, während in Norddeutschland die klassischen Modelle gefragter seien.

Das Design, am Computer erstellt, wird dann eine Etage tiefer mit großen Druckern auf spezielles Papier aufgebracht. Bis vor wenigen Jahren wurde das noch mit dem aufwändigen Siebdruck-Verfahren gemacht. Jede Farbe musste von Hand angemischt werden, was einen Aufpreis für jede einzelne Farbe bedeutete. So richtig bunte Designs waren also fast unbezahlbar.

Sublimationsdruck macht auch bunte Trikotdesigns erschwinglich

Heute wird bei Bioracer digital und mit der Sublimationsmethode gearbeitet. Das bedeutet, die Farbe wird zunächst auf spezielles Papier gedruckt. Um nicht zu viel vom teuren Papier zu verschwenden, ist das Anordnen der unterschiedlichen Druckelemente (Seitenteile, Ärmel etc.) ein Puzzlespiel: So eng wie möglich, so weit auseinander wie nötig. Mehrere große Geräte mit Farbpatronen obenauf drucken stetig vor sich hin.

Druck Sublimation Bioracer
Das Design wird auf spezielles Papier gedruckt.

Die bedruckten Papierrollen werden dann in der Halle nebenan weiterverarbeitet, hier kommt die Farbe mit dem Stoff zusammen. Wer glaubt, in einen Rennradreifen kommt viel Druck, der hat noch nichts vom Sublimationsverfahren gehört. Mit 200 Bar und bei ca. 200 Grad wird die Farbe bei diesem Verfahren in den Stoff gepresst. Das hält! Druck und Hitze verbinden den Stoff so gut mit der Farbe, dass die Textilien über mehrere Jahre lang nicht an Leuchtkraft einbüßen sollen, genauer gesagt über vier Jahre bei einer Wäsche pro Woche.

Während wir am Sublimationsdrucker stehen, kommen vor meinem eigenen Ciclista.net-Trikotset gerade Teile eines wohlbekannten Teamtrikots raus – grün, weiß, Dimension Data! Vielleicht haben wir also gerade die Entstehung eines Trikots miterlebt, mit dem Marc Cavendish diese Saison mal ein Rennen gewinnt. Wer weiß 😉

Bioracer -Sublimationsdrucker

Magie an der Nähmaschine

Die Jungs und Mädels an den Nähmaschinen in einem anderen Teil der Werkshalle arbeiten hochkonzentriert und grinsen nur hin und wieder kurz rüber, wenn ich die flotten Arbeitsschritte mit der Kamera festhalte. Ich stehe staunend daneben, während die einzelnen Stoffteile meines Ciclista.net-Trikots flink miteinander verbunden werden.

Nähen Bioracer

Mein Trikot nimmt Formen an!

Das Ciclista.net-Trikotset – vollendet nach einem Tag in Tessenderlo!

Genäht werden viele Teile direkt vor Ort in Tessenderlo, Bioracer lässt inzwischen aber auch in Tunesien, Rumänien und der Tschechischen Republik fertigen. Das Auftragsaufkommen wäre sonst nicht zu bewältigen.

Wie auf Kommando stürmen plötzlich alle Näher/innen raus aus der Halle, ich schaue wohl etwas irritiert – „Pausen und der Feierabend werden hier sehr ernst genommen“, grinst Birgit, Überstunden gebe es in Belgien quasi nicht. Coole Sache, und scheint zu funktionieren!

Nach dem Nähen kommt die Endkontrolle; schon ist die Sportbekleidung fertig und wird vom Logistikzentrum in Tessenderlo an die Kunden verschickt – auch die Bekleidung, die aus den Fertigungsstätten im Ausland kommt, macht vor dem Versand an den Kunden immer Station in Belgien, so wird die Qualität gesichert. Mein Trikotset wird ebenso noch einmal kritisch begutachtet, bevor es mir übergeben wird. Ich bin sehr zufrieden – schickes Design und die Passform stimmt. Das Trikotset wird einige Einsätze bekommen dieses Jahr!

 

„Man is the measure of all things“

Es mag angesagtere und es mag günstigere Radbekleidung auf dem Markt geben. Was mir bei Bioracer allerdings gefallen hat, sind der Optimierungswille und die Leidenschaft für den Sport, die hinter den Produkten stehen und die die Mitarbeiter ausstrahlen, denen wir in Tessenderlo bei der Arbeit über die Schulter schauen durften. Nichts wird hier dem Zufall überlassen, der Sportler wird ganzheitlich gesehen, vom individuellen Design über die effiziente Produktion der Teambekleidung bis hin zur Hightechentwicklung im Spitzenbereich und der Biomechanik.

Bei aller Materialkunde hat Bioracer aber nicht vergessen, für wen die Innovationen sich letztendlich auszahlen sollen: Den Athleten und die Athletin, egal ob Profi oder Vereinsfahrer/in. Stilisiert ist das Bioracer-Logo passend dazu an den vetruvianischen Menschen von da Vinci angelehnt: Der Mensch steht bei aller Wissenschaft im Mittelpunkt; „Man is the measure of all things“ steht in großen Lettern im Eingangsbereich. Ich werde in Zukunft gerne an meinen Tag bei den innovativen Belgiern denken, wenn ich mal wieder eine/n Athleten/in mit Bioracer-Logo auf der Brust jubeln sehe. Ich bin mir sicher: lange muss ich da nicht warten.

 

Bioracer - Nationalmannschaften

Because fast isn't fast enough

Carolyn Ciclista.net Bioracer


Transparenzhinweis: Alle Kosten der Reise wurden von Bioracer übernommen.


 

Carolyn Ott-Friesl

Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine Ausrüstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*

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3 Gedanken zu “Zu Besuch bei Bioracer in Tessenderlo: Innovative Radbekleidung aus dem Bike Valley”