Immer weniger Rennen, immer weniger Rennfahrer mit einer Lizenz, immer weniger Nachwuchs. Der Amateurradsport erlebt gerade definitiv nicht seine glorreichsten Zeiten (Gerade deswegen: Support your local Radrennen!) – und das, wĂ€hrend der Jedermannsport boomt. Das soll sich ab 2019 Ă€ndern: Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hat ein neues Amateur-Lizenzsystem fĂŒr den MĂ€nner-StraĂenradsport beschlossen. Hier gibt es alle Infos, was das neue System fĂŒr die Fahrer bringt und warum ich denke, dass es den Lizenzradsport nicht retten wird.
Neu ab 2019: Nur noch zwei Lizenzklassen
FĂŒr Frauen bleibt alles wie gehabt – hier gab es auch bisher (leider aufgrund von zu wenigen Teilnehmerinnen) nur eine Amateurklasse. Bei den MĂ€nnern dagegen Ă€ndert sich einiges. Bisher war es so: Jeder konnte sich eine C-Lizenz lösen und mit entsprechenden Platzierungen oder Siegen in die B- und A-Klasse aufsteigen. Das konnte bedeuten: Ein Rennen, ein Sieg, zack: Aufgestiegen.
Ab 2019 lĂ€uft die Sache etwas anders im StraĂenrennsport: Es gibt nur noch zwei Lizenzklassen. Die „Elite Amateure“ und die „Amateure“. Die „Elite Amateure“ entsprechen quasi den bisherigen A- und B-Klassen, die Zugehörigkeit wird ĂŒber die rad-net-Rangliste bestimmt. Die ersten 500 der rad-net-Rangliste gehören zu den „Elite Amateuren“, auĂerdem die ersten 30 der Mastersrangliste sowie die 50 besten Junioren aus der vergangenen Saison. ZusĂ€tzlich sind auch alle Fahrer der Radbundesliga automatisch in der Elite-Amateurklasse.
Die bisherige C-Klasse entspricht der Klasse âAmateureâ und soll als niedrigschwelliger Einstieg dienen fĂŒr neue Rennfahrer. KĂŒnftig soll es auch keine gemeinsamen Rennen der beiden Lizenzklassen geben, um das Einstiegsniveau niedrig zu halten fĂŒr AnfĂ€nger. Den Einstieg einfach gestalten soll auch die Tageslizenz, die es seit 2017 gibt. Damit können auch Fahrer teilnehmen, die keine Vereinszugehörigkeit haben. An nationalen Meisterschaften und UCI-Rennen dĂŒrfen jedoch nur Fahrer mit Jahreslizenz teilnehmen.
DĂŒrfen Amateure mit Lizenz bei Jedermannrennen starten?
Sowohl âElite Amateureâ als auch âAmateureâ sind fĂŒr Jedermannrennen startberechtigt, aber die Veranstalter der Jedermannrennen entscheiden selbst, ob sie âElite Amateureâ zulassen oder nicht. Damit hat das bisherige Startverbot fĂŒr die A- und B-Klasse seitens des BDR keinen Bestand mehr und das Problem der notorischen „Aufstiegsverweigerer“ – also Fahrer, die absichtlich nicht in die Platzierungen fahren, um weiterhin Jedermannrennen bestreiten zu dĂŒrfen – sollte sich damit auch lösen.
Stichtage fĂŒr den Auf- und Abstieg
Statt direkt mit Platzierungen oder Siegen aufzusteigen, wird die Zugehörigkeit zu den Klassen mit der rad-net-Rangliste bestimmt. Ein Aufstieg oder Abstieg wird nur an zwei Tagen der Saison möglich sein. Die zwei Stichtage sind folgende:
- auf den 20. Mai folgende Dienstag
- auf den 31. Juli folgende Dienstag
- 31. Dezember
Ăbersicht fĂŒr Lizenzfahrer
 | Elite Amateure | Amateure |
Wer ist dabei? |
|
|
Bei Jedermannrennen startberechtigt? | Ja, aber der Veranstalter kann Elite Amateure ausschlieĂen (Ausschreibung beachten!) | Â Ja |
Entspricht⊠| Bisheriger A-Klasse und B-Klasse | Bisheriger C-Klasse |
Start mit Tageslizenz⊠| Nicht möglich | Möglich |
Was soll das bringen?
Der BDR begrĂŒndet den Schritt einerseits mit der besseren Ăbersichtlichkeit des Lizenzsystems. Statt drei nur noch zwei Lizenzklassen – keine einzelnen Platzierungen mehr zum Aufstieg, sondern die Platzierung in der rad-net-Rangliste an den Stichtagen entscheidet. AuĂerdem ist das neue System eine Angleichung an die Amateursysteme anderer LĂ€nder, in denen auch zumeist nur zwei Amateurklassen bestehen.
Die Ănderung soll auĂerdem den Lizenzradsport attraktiver machen fĂŒr Einsteiger, die sich bislang eher (massenhaft) an die Jedermannrennen rantrauen als an die Lizenzrennen. Ist ja auch irgendwie klar: Zwar ist die StartgebĂŒhr meist um ein Vielfaches höher, allerdings bekommen die Teilnehmer attraktive Runden, oft mitten durch die InnenstĂ€dte. Dazu muss man sich wirklich anstrengen, um nicht ins Ziel zu kommen: Der Mindestschnitt liegt meist bei etwas ĂŒber 20 km/h, das schaffen normalerweise auch blutige RadlanfĂ€nger.
Die Lizenzrennen dagegen geraten gefĂŒhlt immer weiter aus dem Blickfeld, sogar viele Radsportler bekommen nicht einmal mit, wo ein Radrennen in ihrer NĂ€he stattfindet. SonntĂ€gliche 50 Runden im Industriegebiet ziehen meiner Meinung nach keine Einsteiger ein ihren Bann. Dazu sind die Rennen selbst nicht wirklich anfĂ€ngerfreundlich – wer aus dem Feld fliegt oder ĂŒberrundet wird, ist drauĂen. Das kann ganz schön frustrierend sein und Einsteiger nach wenigen Rennen schon wieder abschrecken. Zwar könnte man hier die Velominati-Rule #5 anbringen: „Harden the fuck up!“ – oder man ĂŒberlegt sich doch mal, wie man sich den wenigen verbleibenden Nachwuchs sichert.
An diesem Problem Ă€ndert meiner Meinung nach auch die folgende MaĂnahme nichts: Um das Niveau bei den Amateuren niedrig zu halten und den Einstieg zu erleichtern, sollen keine gemeinsamen Rennen der beiden Lizenzklassen mehr stattfinden. Also Rennen, die frĂŒher mit der Einstufung „KT-A-B-C“ Einsteiger gegen gestandene Kontinentalprofis antreten lieĂen, kann es so nicht mehr geben. Ob das allerdings reicht, um Einsteiger in Scharen anzulocken? Ich hoffe es, aber ich glaube es nicht. Denn an den Grundproblemen Ă€ndert das leider wenig.
Warum es den Lizenzradsport nicht retten wird
Problem 1: Fehlende PrÀsenz
Meiner Meinung nach ist die fehlende PrĂ€senz der Lizenzradrennen in der Ăffentlichkeit ein groĂer Teil des Problems. Anstatt nur Imagekampagnen mit den Profis und Olympioniken zu fahren, sollten Lizenzradfahrer auch vom BDR stĂ€rker in den Mittelpunkt gestellt werden. SchlieĂlich ist der Nachwuchs, der ĂŒber das Lizenzsystem kommt, die Basis fĂŒr den kĂŒnftigen Spitzensport! Ich sehe da ziemlich schwarz fĂŒr die mittelfristige Zukunft. Es gibt schlicht kaum mehr Nachwuchs in den Vereinen. Sogar viele Radsportinteressierte wissen gar nicht, dass es das Lizenzsystem gibt – dagegen weiĂ jeder, dass es Jedermannrennen gibt. Da hapert es doch eindeutig an der Ăffentlichkeitsarbeit.
Problem 2: Fehlende AttraktivitÀt
Die Lizenzradrennen mĂŒssen attraktiver werden! Dabei mache ich wirklich nicht den Veranstaltern einen Vorwurf. Ein Radrennen organisieren ist alleine schon ein Kraftakt, sich eine landschaftlich tolle Runde zusammenzulobbyieren ist in manchen Orten schier unmöglich. Aber seien wir ehrlich: 800-Meter-Runden sonntags irgendwo im leeren Industriegebiet – und so sehen leider viele Rennen aus – haben einfach mal null Anziehungskraft auĂer fĂŒr die alten Rennhasen, die einfach nur Rennen fahren wollen und Kriterien geil finden. Was toll wĂ€re: Runden durch die InnenstĂ€dte, wĂ€hrend des Volksfests, spektakulĂ€re Strecken – schlicht: Radrennen sichtbar und attraktiv machen!
Problem 3: Immer weniger Radrennen
Radsport ist ein teurer und aufwĂ€ndiger Sport. Materialkosten und Zeitaufwand sind fĂŒr die Aktiven – zumindest, wenn man den SpaĂ ernsthaft betreibt – um einiges höher als in anderen Sportarten. Dazu kommen gerade in FlĂ€chenlĂ€ndern die langen Anfahrtswege zu den Radrennen, noch heftiger wird es bei nationalen Meisterschaften. Das Problem wird sich verschĂ€rfen, denn die Radrennen werden immer weniger. Das neue Lizenzsystem soll mit mehr Fahrern auch mehr Rennen generieren. Ich befĂŒrchte, der Plan geht so nicht auf.
Dass es immer weniger Radrennen gibt, hĂ€ngt – neben dem Nachwuchsmangel in den Vereinen – mit immer strenger und teurer werdenden Sicherheitsauflagen und Genehmigungen zusammen, die von den Organisatoren verlangt werden. Hier sollte sich vor allem der BDR dafĂŒr einsetzen, dass die Organisation von attraktiven Radrennen vereinfacht wird bzw. Veranstalter unterstĂŒtzt werden. Irgendwann ist es sonst zu spĂ€t – dann gibt’s keine Radrennen mehr auf Amateurebene. Und dann braucht man auch kein neues Lizenzsystem mehr.
Noch ein Nachtrag, denn das hat mich beschÀftigt:
Problem 4: Kein Zugehen auf neue Zielgruppen
Was ich besonders an der Lizenzreform vermisse, ist die Konzeptlosigkeit in Bezug auf neue, noch groĂteils unerschlossene Zielgruppen. Es grĂŒnden sich Facebookgruppen mit hunderten von rennradfahrenden Frauen, Nachwuchsradfahrer kommen gar nicht auf die Idee, in einen Verein zu gehen, sondern befragen lieber das Internet, was sie bei einem Loch im Schlauch tun sollen (und finden die Lösung natĂŒrlich nicht auf der BDR-Website von Anno Dazumal). Wie kann man solche Entwicklungen als groĂer Verband verschlafen? Und woher sollen diese Zielgruppen wissen, dass es jetzt einfacher ist, mit Lizenz-Radrennen zu beginnen?
Die Lizenzreform ist ein kleiner, nett gemeinter Schritt, der aber nicht von Zauberhand lauter JedermĂ€nner und -frauen in die Vereine spĂŒlen wird. Es ist ein Herumdoktern an alten Problemen. Was fehlt, ist die Vision fĂŒr die neuen Herausforderungen.
Was sagst Du? Sinnvoller Schritt oder sinnlose Ănderung? Diskutiere mit auf Facebook, Twitter oder Instagram! Hashtag: #LocalRadrennen
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Ein Gedanke zu “Neu ab 2019: Die BDR Lizenzreform fĂŒr den Amateur-StraĂenradsport”
Auf den Punkt getroffen! Als ergĂ€nzenden Punkte kann als Problem 5 vielleicht noch benennen, dass sich unsere Gesellschaft einfach generell gewandelt hat und heutzutage kaum noch jemand Lust auf Vereinsarbeit hat. Alle wollen individuell und unabhĂ€ngig sein. Das bekommt selbst der Big Player Fussball in seinen Vereinen zu spĂŒren, auch wenn es dort noch Stöhnen auf hohem Niveau ist. Und Problem 6: Der Radsport hat sich mit seinen Dopingproblemen im Profisport ĂŒber die Jahre das eigene Grab geschaufelt. Dadurch Ausstieg der ĂR in der medialen Berichterstattung und weitere Medien, die nur noch negativ berichteten. In der Folge massiver SponsorenrĂŒckzug auf allen Ebenen bis hinunter zu den kleinen Lizenzrennen.