Mein Körper und ich. Eine komplizierte Beziehung ist das, sogar ein bisschen Hassliebe. War es schon immer, mindestens seit der Pubertät. Und was ich nicht alles unternommen habe, um ihn nicht nur sprichwörtlich kleinzukriegen. Diäten, Hungern, Fasten, Sport. Und egal, wie viel oder wenig ich war, ich war doch immer unzufrieden.
Ich gehörte noch nie zu den leichtesten und zähl(t)e mich auch im Kopf immer zu den „Dicken“, auch wenn das nicht immer stimmte. Ich bin heute direkt erschrocken, wie dünn ich auf alten Fotos bin – in meiner Vorstellung war ich mindestens drei Mal so viel, dabei war das vielleicht Kleidergröße 36. Verrückt, was einem der Kopf so vormacht.
Radfahren, weil es Spaß macht!
Das einzige, was ich lustigerweise noch nie zum Abnehmen gemacht habe, ist das Rennradfahren – der Sport, der sich so sehr ums Körpergewicht dreht wie wenige andere. Das Radfahren habe ich aus Spaß angefangen. Wahrscheinlich bin ich deswegen nach mehr als 15 Jahren immer noch dabei.
Wirklich gut war ich nie, halt immer etwas zu wenig trainiert, die letzte Konsequenz war nicht da und ich funktioniere halt unter Druck und mit Zielen am besten – ohne Ziel gab es dann halt auch keine wirkliche Leistung. Macht aber gar nix. Weil ich Radfahren nie um eines Zweckes Willen gemacht habe, sondern immer aus eigenem Antrieb, weil es Spaß macht.
Was ich alte Körperneurotikerin nur anfangs schwierig fand, waren die engen Klamotten. Aber man gewöhnt sich an alles, beziehungsweise habe ich mich von XL-Flattertrikots herangetastet an Klamotten, die mir wirklich passen. Inzwischen mag ich mich auch in enganliegenden Radklamotten. Was interessiert’s mich, ob andere meine Beine zu dick finden? Solange ich Spaß habe, mich in den Klamotten wohlfühle und die Klamotten auch noch die Funktionen mitbringen, die ich brauche – top! Zudem gibt es auch für Frauen immer mehr Auswahl, sogar Sportröcke gibt es für Radfahrerinnen*.
Egal, ob hier und da eine Delle dellt, ob mal die Radhose komisch in den Oberschenkel schneidet oder unter dem Trikot das ein oder andere Röllchen zu sehen ist – es ist mir egal. Um das nicht mehr an mich ranzulassen, dafür habe ich richtig lange gebraucht, vor allem empfand ich das als Problem, als ich noch meistens mit den dürren Lizenzfahrerjungs unterwegs war. Aber es ist schön, einfach radzufahren, ohne sich ständig negative Gedanken einzureden. Wirklich, das solltest Du mal ausprobieren!
Mein Körper hat viel mitgemacht, obwohl ich echt fies zu ihm war
Und mein Körper ist dazu gar nicht nachtragend, obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte. Egal, wie unzufrieden ich war, wie sehr ich ihn manchmal verabscheut habe: Mein Körper hat fast alles mitgemacht, was ich von ihm verlangt habe. Ein 24-Stunden-Rennen, eine fast komplette Alpenüberquerung, ein Mountainbike-Etappenrennen und noch andere verrückte Dinge. Und da soll ich noch unzufrieden sein wegen der paar Extrakilos? Nein, ich bin dankbar, dass ich das alles machen konnte. Ich bin gesund und hatte Spaß, was will ich mehr? Mein Leben wäre ohne diese Erlebnisse deutlich farbloser gewesen.
Erstens werden die Extrakilos mit genügend Kilometern im Jahr sowieso von alleine weniger und zweitens: warum soll Rennradfahren nur Menschen mit Modelfigur vorbehalten sein? Wer deutlich zu viele Kilos auf den Rippen hat, sollte natürlich zunächst checken lassen, ob das gesundheitlich ok geht. Aber wenn man Sport machen möchte, warum dann nicht auf dem Rennrad! Nur wegen einigen wenigen Menschen, die sich negativ äußern oder komisch schauen, weil sie wohl mit sich selbst nicht zufrieden sind? Von denen lasse ich mir bestimmt nicht meinen Spaß am Radsport vermiesen.
Glaubt an Euch!
Interessanterweise sind es oft Frauen, die glauben, den Ansprüchen im Radsport nicht genügen zu können. Maren von ichhasselaufen.de hat dazu neulich eine spannende Umfrage auf Instagram erstellt, was Frauen davon abhält, Radrennen zu fahren: Frauen denken, zu langsam zu sein, nicht die richtige Figur dafür zu haben, nicht in der Gruppe fahren zu können, Rennradfahren sei ein Männersport.
Alles Quatsch! Bei einem Jedermannrennen liegt die Mindestgeschwindigkeit meist bei etwas über 20 km/h – glaub mir, im Renntempo wirst Du das locker schaffen, auch wenn’s im Training bisher nicht ganz geklappt hat. Das Fahren in der Gruppe lässt sich gut üben mit ein paar Mitfahrer(inne)n. Von Vorteil ist es auf jeden Fall, die wichtigen Handzeichen zu kennen und immer bremsbereit zu sein.
Ich möchte hier für mehr Akzeptanz und Mut werben. Für alle Radfahrer/innen. Egal, ob sie dick oder dünn, männlich oder weiblich, schnell oder langsam sind. Was soll das elitäre Gehabe bringen außer dem fortschreitenden Sterben der Radvereine? Radsport ist mehr als Material, Watt/kg und Trainingslehre. Und Radfahren definiert sich nicht über die Meinung anderer.
Radfahren kann auch einfach Glück sein, das sich selbst genügt.
Und abgesehen davon, dass es ziemlich scheiße ist, andere wegen Ihres Aussehens zu be- und verurteilen, helfen mehr Radfahrer auch ganz rational und empathielos betrachtet uns allen: Mehr Radfahrer bedeuten mehr Sichtbarkeit und damit mehr Akzeptanz bei denen, die über eine radgerechte Infrastruktur entscheiden sollen. Also freuen wir uns doch über jeden und jede, der/die den Weg zu diesem tollen Sport findet!
Das ist zwar ziemlich abgedroschen, aber jeder hat mal angefangen. Und wer auf dem Rad sitzt, egal wie langsam oder schnell, egal wie weit oder kurz, egal ob leicht oder schwer, überrundet jeden, der auf dem Sofa sitzen bleibt. Ich freue mich, wenn Du das Rennradfahren für Dich entdeckst – aber mach‘ es nicht (nur), um abzunehmen. Sondern weil es einfach Spaß macht und Dir Erlebnisse beschert, die Du sonst nicht gehabt hättest. Und trau‘ Dich auf’s Rennrad, egal, ob Du Modelfigur hast oder nicht. Lass‘ Dir das nicht entgehen, sondern lass‘ uns loslegen, diese Saison gehört uns! 😊
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Carolyn Ott-Friesl
Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine Ausrüstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*
11 Gedanken zu “Rennradfahren zum Abnehmen? Lieber nicht. Fahre, weil es Spaß macht!”
Hm. Bisher die einzige Reaktion?
Aber: Danke für diesen Artikel!
Ich bin zwar auf der anderen Geschlechterseite und nutze ein Mountainbike statt Rennrad, aber …bike und …rad sind ja letztlich auch „nur“ Fahrräder. 🙂 Daher hat mich dein Beitrag auch angesprochen.
Ich war in meiner Jugend sehr oft mit dem Rad unterwegs; hab hier im Schwarzwald alle möglichen Täler und Höhen bezwungen. Einfach weil es Spaß gemacht hatte.
23 Jahre waren dann anderen Themen gewidmet, man wurde träger, schwerer… Und jetzt, nachdem der Trend wieder Richtung „leichter“ geht, ist auch plötzlich die Lust aufs Radfahren wieder da. Wobei mir auch aufgefallen ist, dass ich teilweise auch von den anderen teils seltsam angeschaut werde, wenn ich an den Steigen von den „Super Profis“ auf ihren Rennrädern überholt werde.
Bin mir da aktuell noch etwas unschlüssig, ob das wegen der unkonditionierten „Wurst“ auf dem Rad ist, die da mit unter 10 km/h den Berg hochrollt oder weil ich mit einem Mountainbike statt Rennrad da hochfahre.
Aber hey, wie du es passend sagst: ich habe mein altes ich auf dem Sofa damit bei weitem überrundet und habe wieder Spaß am Radfahren.
Wirklich sehr motivierend geschrieben, mach weiter so! 🙂
Liebe Carolyn! Sehr schöner Text, da sprichst du mir aus der Seele! Ich hab auch nicht die Super-Figur fürs Rennradfahren, ist mir aber mittlerweile auch egal. Das Rennradfahren war mir über die letzten 2 Jahre zwar doch hilfreich beim langsam stetig Gewicht verlieren- Radfahren würde ich aber trotzdem auch ohne, weil’s Spaß macht! Ich hab nicht ganz so lange gebraucht wie du, mich von meinen Selbstzweifeln wegen meiner Figur frei zu machen, was wohl daran liegt, dass ich aber auch schon 48 bin und eh für alle “ ausser Konkurrenz “ fahre. Zu.dick, zu klein, zu langsam – mir doch mittlerweile echt egal. Für jüngere Frauen kann ich mir vorstellen, dass es schwerer ist, da man dann schon eher mit den sportlich-bezopften dünnen Mädels mit einem BMI von 18 verglichen wird….. Die Umfrage von Maren muss ich mir auch mal angucken, da lese ich ab und zu auch…Bin immer viel Fahrrad gefahren, aber Rennrad erst seit 2 Jahren. Mit 15 habe ich mir schon mal eins gewünscht, aber meine Eltern meinten, das sei doch nichts für ein Mädchen🙄 Dann halt mit nen Holland-3-Gang-Rad die Berge hoch und runter🤔
Also zum reinen Abnehmen ist Rennradfahren zu schade- und eigentlich nicht zu empfehlen, finde ich: auch, wenn’s Spaß macht: manchmal geht es eben auch nicht ohne Schmerzen und Quälerei, es kostet seeehr viel Zeit, auch viel Geld manchmal, auch Geduld, Beharrlichkeit und Disziplin und Zähne-Zusammenbeissen manchmal und an der Technik kommt man halt auch nicht vorbei… da sollte man eher auf was anderes wie Laufen, etc. ausweichen, wenn einen eben nicht wirklich das Rennradfieber gepackt hat – da macht man das halt einfach mit
Hei Carolyn,
was für ein guter Text! Schräg find‘ ich in dem Zusammenhang ja auch, was die Radklamottenhersteller so mit den Größen treiben… ich glaub‘, die spielen da Roulette und dann hat man halt bei der einen Hose eine 36 und bei der anderen ein L drin 😉
Ich fahr‘ im Verein und bin oft die einzige Frau im schnelleren Team. In der Ebene oft kein Problem, am Berg happert’s dann manchmal. Aber das ist nie ein Thema, da wird immer gewartet und ich hatte noch nie blöde Bemerkungen… ich find’s schade, dass die meisten Frauen allein oder nur mit Partner fahren. Dabei ist in der Gruppe fahren so genial! Da schafft man nach Feierabend ordentlich Kilometer, hat meist nette Kollegen zum Quatschen und muss sich nicht allein mit dem Wind abplagen.
So, jetzt bin ich vom Hundertsten ins Tausendste gekommen und wollte Dir eigentlich nur endlich mal sagen: ein super Blog von Dir 🙂
Ja, sag ich auch … toller Blog, habe ihn grad erst entdeckt …
LG Gabi
Hallo Carolyn,
auch ich habe Deinen Text mit großem Vergnügen gelesen! Macht wirklich Lust auf’s Radfahren! Du hast vollkommen recht: Es geht nur um den Spaß! Männer konkurrieren gerne untereinander und merken dabei oft gar nicht, was ihnen dabei entgeht. Habe mir jetzt an meinen Renner einen leichten Tubus-Träger montiert und möchte nun auch auf Reisen gehen. Weiß nur noch nicht, wohin:-) Wohne im Herzen Bayerns.
Vielen Dank für Deinen erfrischenden Beitrag!
Liebe Grüße,
Armin
Hallo Carolyn,
erstmal ein großes Kompliment an Dich! Tolle Seite, super Berichte und du sprichst mir dermaßen aus dem Herzen!!!!
Allein das Fahren mit Partner hat mich schon zum lächeln und „ja, genau, so kenn ich das auch“ gebracht und das mit dem abnehmen beim Radfahren kenne ich nur zu gut!
Würde ich radln um abzunehmen, hätte ich mich wohl schon von der nächstne Klippe gestürzt *grins* zum Glück gibts ja hier keine 😉
Auch mir ist es schon lange egal ob mir jemand auf meine dicken Haxen, die Krampfadern, die Narben oder die Speckröllchen schaut! Kurze Röcke, und kurze Hosen?? Jawohl!! Weil es bequem ist!
Langsamst bergauf schnaufen mit einem (mittlerweile nicht mehr taufrischen) Highend Renner? Ja! Weil es Spaß macht und mich jeden Meter freut wenn ich nach unten auf den Rahmen blicke!!!
Und wenn ich an so manche Bekannte denke….. 15 Jahre jünger, 30kg leichter und traut sich keine paar Meter ohne E-Bike zu!! Dann denke ich mir lieber ein paar kg mehr auf den Hüften und soweit gesund und fit!!!
Mach weiter so liebe Carolyn, vielleicht sieht man sich ja mal!!!
Liebe Grüße vom Schloßberg!
Und prompt bist du mir heute gleich entgegenkommen, am Inndamm kurz vorm Klinikum.
Beim nächsten Mal winke ich 😉
Lg
Ich liebe diesen Artikel. Ich gehöre eher zu den „zu dünnen“ – mein weniger Körperspeck macht mich schnell frierend, ich bin bei Regen nicht auszuhalten, und ich muss ständig irgendwas essen, damit ich noch genug Kraft für die letzten 30km habe, wenn ich lange Touren mache. Ich hab mir immer Ziele gesetzt, bin mittlerweile bei ca. 160km-Touren, habe 8 Stoneman-Trophäen zu Hause und eine Ironman-Medaille, und all das trotz einer chronischen Schilddrüsen-Erkrankung und vielen „Mädchen, spinnst Du?“-Blicken. Ich liebe das Gefühl der Freiheit, und der Einheit mit der Natur, ich genieße die Erschöpfung und die Endorphine in meinem Körper nach einer Tour, und ich mache mir keine Gedanken (mehr), wie andere das wohl beurteilen. Danke für diesen Artikel!!! Fahrt mehr Rad, alle 🙂
Wunderschöner Beitrag 🙂