Immer im Juli fühle mich ein bisschen zurückversetzt in meine Kindheit: Noch bis Ende des Monats können wir beinahe jeden Nachmittag im TV einen Haufen bunter Radfahrer über einige Stunden bei Ihrer Tour durch Frankreich begleiten.
Die Tour de France ist das Sehnsuchtsziel aller Radrennfahrer und vieler Radsportfans. Sie ist das prestigeträchtigste und wohl härteste Radrennen der Welt, und schreibt mit jeder Ausgabe ihre Geschichte von Triumphen und dramatischen Niederlagen weiter. Wie bei so vielen beginnt auch meine eigene, ganz persönliche Radsportgeschichte mit der Tour de France – oder genauer: mit Jan Ullrich.
Jan Ullrich, Juli 1996
Es war Juli 1996, ich war sieben Jahre alt und mein Vater, begeisterter Fernsehsportler, schaltete jeden Nachmittag die damals stundenlangen Übertragungen der Tour de France von ARD und ZDF ein. Ich begann, mich immer mehr für das aufregende Radrennen zu interessieren. Und damit war ich nicht allein. Denn ein junger, rothaariger Deutscher namens Jan Ullrich war dabei, in die Weltspitze zu fahren und die Aufmerksamkeit der deutschen Kommentatoren und Zuschauer zu erlangen, was ihm mit dem Toursieg ein Jahr später nachhaltig und eindrücklich gelang.
Es dauerte nicht lange, bis ich mich auch als Tour-de-France-Profi fühlen wollte. Also schwang ich mich nach dem Ende jeder Etappe selbst auf mein Kinderrad und fuhr eine Fünf-Kilometer-Runde mit damals für mich furchterregenden Hügeln, deren Bezwingen ohne Absteigen sich ungefähr wie ein Etappensieg angefühlt hat. Meine tägliche persönliche Königsetappe, inklusive Verpflegungszone a.k.a. Spezi-Stopp bei der befreundeten Wirtin auf halbem Weg.
Seitdem hat sich viel getan, sowohl bei der Tour als auch in meiner „Radsportkarriere“, wenn auch sehr gegensätzlich. Dem Toursieg von Jan Ullrich folgten erst nervenraubende Duelle mit Lance Armstrong und später die groĂźen DopingenthĂĽllungen, die das Ansehen des Radsports zumindest in Deutschland grĂĽndlich zerstörten. Bei mir folgten viele schöne Radkilometer und zahlreiche Freundschaften und Erlebnisse, die aus dieser InitialzĂĽndung folgten.
Die Tour de France hat an Leichtigkeit verloren
FĂĽr viele deutsche Zuschauer und Sponsoren hat die Tour de France seit den groĂźen Dopingskandalen ihre Leichtigkeit, ja ihre „Unschuld“ verloren. Das hat sich meiner Ansicht nach bis heute nur wenig verändert in der breiten Ă–ffentlichkeit. Dabei unterscheiden sich die Dopingpraktiken sicher nicht von denen anderer Sportarten – aber beim Radsport schmerzte es nun einmal richtig, dass die Skandale öffentlich wurden, kurz nachdem Deutschland einen richtigen tragischen Radsporthelden bekommen hatte, mit dem man so schön mitfiebern konnte. Und der von den Medien so weit in den Himmel gehoben worden war, dass der Weg nach unten lang und schmerzhaft ausfiel.
Auch fĂĽr mich persönlich hatten die Dopinggeschichten irgendwie Auswirkungen. Ich hatte gerade angefangen, Deutschland-Tour, Bayernrundfahrt und Sechstagerennen auch mal vor Ort zu verfolgen. Dort kamen die Stars aus dem Fernsehen, wie Fabian Wegmann, Jens Voigt oder Udo Bölts oft nicht einmal einen Meter entfernt vorbeigeradelt und ich war völlig fasziniert von der Nähe und den Geschwindigkeiten. Dennoch orientierte ich mich eher Richtung Amateur- und Halbprofirennen, Bahnradsport und Selberfahren, die Tour war nicht mehr so wichtig in meinem Radsportuniversum – was die Profis in TV-Interviews erzählen? Mir ziemlich egal. Ich kannte jetzt die Fahrer, die ich anfeuern, die ich betreue oder mit denen ich fahren wollte, oft persönlich und konnte mir selbst ein Urteil bilden, ob ich ihnen traue oder nicht.
Die Tour lässt mich nicht los
Die Skandale sind jetzt zehn etwa Jahre her und so einige der Fahrer, die ich vor vielen Jahren bei Amateur- und Nachwuchsrennen angefeuert habe, sind jetzt tatsächlich bei der Tour de France unterwegs. Wenn ich heute eine Tour de France Etappe im TV sehe, sehe ich also manchmal sogar bekannte Gesichter. Dazu kann ich viel besser einschätzen als damals, wie es sich anfühlt, so lange im Sattel zu sitzen. Wie es sich anfühlt, wenn am Ende der Kräfte noch viel Berg übrig ist. Und welcher Aufwand es für die Betreuer ist, die Profis während des Rennens optimal zu versorgen.
Und jetzt bin ich wieder soweit: ich komme der Faszination der Tour irgendwie doch nicht aus. Wenn eine spannende Bergetappe läuft und ich habe Zeit, dann klemme ich mich vor den Fernseher. Ich interessiere mich wieder mehr als früher für die großen und kleinen Geschichten der Tour und des Drumherums und ich werde es irgendwann schaffen, bei der Tour an der Strecke zu stehen.
Ich hoffe sehr, dass „die neue Generation“ der Profis es nicht zu bunt treibt und wieder viele Menschen dazu inspirieren kann, sich ein Rad zu schnappen und diesen wunderschönen Sport fĂĽr sich zu entdecken. Denn das ist doch das größte Verdienst der Tour de France – nicht die spektakulären Höhenprofile, die verlegten TV-Kabelkilometer oder die optimale Präsentation von Sponsoren. Sondern dass Menschen durch das Spektakel ermutigt werden, sich vielleicht eine ganz neue Welt zu erobern. Das lohnt sich, denn die Radsport-Welt ist oft ziemlich toll, egal in welche Richtung es dann geht. Versprochen 🙂
Schaut Ihr die Tour? Wie seid Ihr zum Radsport gekommen?
Carolyn Ott-Friesl
Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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Meine AusrĂĽstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*
4 Gedanken zu “Die Tour de France und ich”
Hallo,
wie du habe ich damals die Tour de France im Fernsehen verfolgt, auch wenn der Fussball immer präsenter und interessanter für mich war. Aber schon damals war Ulle mein Held und nachdem ich mir einen Kreuzbandriss zuzog, wechselte ich vor 3 Jahren zum Radsport. Auch heute ist meine Faszination für die Tour, aber auch für andere Radrennen (Paris-Roubaix) ungebrochen. Wenn man selber mit dem Rad unterwegs ist, kann man diese Leistungen (ob nun mit oder ohne Hilfsmittel) viel besser einordnen, was die Faszination noch verstärkt. Ich für meinen Teil habe gestern den ganzen Tag die Etappe verfolgt und am Abend nicht das EM-Finale geschaut. Die Erfolge von Ullrich und die Duelle mit Armstrong haben mich insgeheim doch noch zum Radsport getrieben. 🙂
Auch wenn der Radsport immer wieder mit Doping in Verbindung gebracht wird, ist die Faszination, die dieser ausĂĽbt immer noch riesig.
Hey Carolyn,
endlich mal ein Mädel, dass auch gerne die Tour schaut 🙂
Ich komme mir schon immer vor wie die einzige (junge) Frau auf Erden, die die Tour verfolgt…. Ich fahre zwar keine Rennen und auch sonst nur MTB, aber ich bin damit aufgewachsen, dass im Juli die Tour im Fernsehen läuft und man die wunderschönen Gegenden Frankreichs in Kombi mit spannenden Duellen der Jungs schauen kann. Das hat sich bis heute nicht geändert und ich freue mich jedes Jahr aufs neue wenn es endlich wieder los geht. Durch unsere tolle neue Generation an deutschen Fahrern, die wirklich sympathisch sind und noch erfolgreich dazu macht es natĂĽrlich gleich noch viel mehr SpaĂź 🙂
GruĂź Lisa
Toller Artikel!