Pressereise – Vorne weiß, hinten weiß, weiß überall. Nebel. Richtig dichter Nebel. Ein paar Meter weiter vorne sehe ich ein paar rote Fahrradlichter, denen ich mit meinem Leih-Fondriest-Rennrad einfach blind folge. Wo wir genau sind? Keine Ahnung. Was ich weiß: Wir sind irgendwo in San Marino, dem Zwergstaat mitten in Italien, zwischen der Emilia Romagna und den Marken. Von hier aus sieht man normalerweise – also ohne Nebel – das adriatische Meer. Einfach mal auf Verdacht fahren, ohne zu wissen, wie ich mir die Kräfte noch einteilen muss. Ob es gleich hoch oder runter geht? Keine Ahnung. Es kostet zwar viel Konzentration, hat aber auch ein bisschen was von Freiheit, so gar nicht zu erahnen, was gleich auf einen zukommt.
Freiheit ist übrigens ein ziemlich wichtiger Begriff in San Marino. Der kleine, stolze Staat legt auf seine „Libertas“ viel Wert und hat sie seit Jahrhunderten standhaft verteidigt. Ein kleiner Staat inmitten von immer größer werdenden, genauer gesagt: der fünftkleinste Staat der Welt. Die historische Altstadt auf dem Monte Titano ist aus massivem Stein gebaut, mit Schießscharten und allem Pipapo. Drei Festungen wachen über San Marino, eine ziemlich martialisch wirkende Trutzburg klebt also an diesem Berg. Dabei hat San Marino schon lange nur noch eine eher symbolisch anmutende Armee, der letzte Krieg wurde 1463 geführt, seitdem setzen die Zwergstaatler auf Diplomatie.
Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass der Erfolg der san-marineser Diplomatie viel mit der lokalen Küche zu tun hat. Wer solches Essen kredenzt, mit dem kann man doch eigentlich gar keinen Krieg führen wollen. Vom Käse über ricottagefüllte Ravioli bis hin zum Pistazientiramisu. Dazu ein leckerer san-marineser Rotwein und ein guter Espresso zum Abschluss oder während der Tour. Hmmm… aber eine Warnung vorab: Wer am Wettkampfgewicht feilen möchte, der sollte sich der bergigen Republik besser fernhalten.
San Marino Cycling Experience
Unabhängigkeit und Eigenständigkeit, das zeichnet San Marino aus. Hier läuft alles etwas anders und sowohl Italiener als auch San-Marineser bestehen darauf, dass es große Unterschiede zwischen den beiden Ländern gibt. Es gibt in San Marino beispielsweise immer zwei Staatsoberhäupter gleichzeitig, die nur für sechs Monate am Stück an der Macht sind, nach dem Vorbild der römischen Konsulen. Der Kleinstaat versteht sich als neutral, wie beispielsweise die Schweiz, und ist entsprechend nicht Teil der Europäischen Union, bezahlt wird trotzdem mit dem Euro.
Der Staat wurde außerdem der Legende nach bereits im Jahr 301 von einem Heiligen, nämlich San Marino, gegründet, dessen Statue bis vor ein paar Jahren in der Hauptkirche sogar höher als die Jesu Christi stand – erst nach einer Intervention von Papst Benedikt wurde Jesus am Kreuz über dem Schutzpatron befestigt. Das Tempolimit liegt bei 70 km/h außerorts. Und die Straßen selbst folgen sowieso ganz eigenen Gesetzen – wie sonst kommen hier auf 60 Kilometern 1500 Höhenmeter zusammen?
Die älteste Republik der Welt ist bislang vor allem bei Tagesausflüglern beliebt, die entweder auf der Durchreise sind oder an der nahen Adria strandurlauben. Und jetzt sollen mit der Radoffensive „San Marino Cycling Experience“ auch verstärkt Rennradfahrer und (E-)Mountainbiker in die Region gelockt werden. San Marino ist gut vorbereitet auf die Besucher auf zwei Rädern: Die Hotels, die wir besichtigen, zeigen uns alle stolz ihre nagelneuen Fahrradkeller. Nicht selten sind die Hoteliers selbst begeisterte Radfahrer. Kein Wunder, bei diesen Strecken. Natürlich sind für die Gäste der Hotels der San Marino Cycling Experience auf Wunsch auch Leihräder sowie Tourenvorschläge und Bike Guides geboten. Radsport hat hier ohnehin Tradition: Das Team Saeco, Vorgänger des Lampre-Teams, fuhr früher mit san-marineser Lizenz – hättest Du es gewusst?
Mit dem Rennrad unterwegs in San Marino
Die Strecken sind wunderschön, aber auch wirklich anspruchsvoll. Es geht in San Marino entweder lange hoch oder lange runter – dazwischen findet man recht wenig. Ein Terrain für alle, die die maximale Höhenmeterausbeute suchen. Und für alle, die für jeden Höhenmeter mit atemberaubenden Ausblicken belohnt werden möchten – wenn man nicht wie wir gerade das Pech hat, im dreitägigen Novembernebel zu landen. Glücklicherweise haben wir am Anreisetag kurz das Glück, die geballte Schönheit der Region im Abendlicht zu sehen (natürlich kein Foto gemacht, man hat ja noch drei Tage Zeit, haha 😛 ) – danach versinkt San Marino in einer weißen Nebelsuppe bis zu unserer Abreise. Und das, obwohl ich immer aufgegessen habe, auch wenn es richtig hart war. Ich schwöre!
Der Nebel ist zwar etwas ärgerlich, aber er tut einerseits dem Spaß keinen Abbruch und andererseits sind die Straßen ja trotzdem befahrbar. Und das nutzen wir auch ausgiebig (wenn wir nicht gerade mit Essen beschäftigt sind…). Zwei Touren mit je ca. 60 Kilometern, auf denen jeweils locker über 1000 Höhenmeter zusammenkommen.
Die erste Tour führt uns an den Grenzen von San Marino entlang. Wir entdecken einige der neun „Castelli“ – so heißen die Gemeinden von San Marino. Wir kämpfen uns Anstiege hinauf und düsen Abfahrten mit 20% bergab. Zum Abschluss erkunden wir einige Kilometer der 9. Etappe des Giro d’Italia 2019, ein Zeitfahren von Riccione hinauf nach San Marino mit anspruchsvollem Profil. Damit wir Nichtprofis den Anstieg zum Abschluss unserer Tour schaffen, entern wir erst einmal einen Imbiss und machen uns an dessen Eis-, Bier- und Kaffeevorräte. Danach geht es mit frischen Kräften bergauf.
Sehr diplomatisch, ganz wie es sich für San Marino gehört, sind unsere Bikeguides Sauro und Narciso. „Lasst Euch ruhig Zeit, Ihr seid gar nicht zu langsam“ – sagen sie Jule von Radelmädchen und mir, während wir hochkeuchen, den anderen hinterher (ja, auch für jemanden aus dem Alpenvorland sind die Anstiege in San Marino durchaus signifikant!).
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Unsere Gruppe besteht aus 13 Bloggern, Journalisten und Reiseveranstaltern. Darunter der ehemalige italienische Meister der Amateure und ein amtierender Altersklassen-Weltmeister der Journalisten. Also genau meine Preisklasse. Ähem. Ich bin jedenfalls regelmäßig Anstifterin für ein gemütliches Gruppetto. Die deutschen Farben werden außer meinem besten fotografierenden Mann der Welt, Jule und mir von unserer „German Gang“ vertreten: Wiebke, CyclingOlli für CyclingClaude und Miri für Speedville. Was für eine coole Truppe!
San Leo hat heute leider keinen Ausblick für uns
Die zweite Ausfahrt soll uns an spektakuläre, mittelalterliche Orte führen, auch über der Grenze in Italien. Zunächst geht’s aber erst wieder lange bergab im Nebel, zur Königsetappe unseres Trips in San Marino. Jedoch wird sie wegen des Nebels etwas entschärft. Wir lassen Montegrimano aus, weil man von dort heute sowieso nix sehen würde, erklärt uns Sauro. Also weiter durch die Nebelwand, die jetzt ein bisschen aufklart. Wir treffen zahlreiche andere Rennradfahrer, heute ist Feiertag in Italien, das merkt man.
Wir fahren an einigen beeindruckenden Burgen vorbei und ich entledige mich langsam meiner Beinlinge. Schließlich geht es jetzt wieder bergauf, an einem der vielen öffentlichen Trinkwasserbrunnen vorbei. Außerdem hat Optimismus noch nie geschadet! Wir kurbeln bergan, lassen uns von Narciso den Ausblick beschreiben, den man sonst hier hätte. Sind ein bisschen wehmütig ob der verpassten Aussichten, erklimmen Serra San Marco und damit die 1000-Höhenmeter-Schwelle und erreichen bald San Leo, wo wir über das nebelnasse Kopfsteinpflaster ins Dorfzentrum wackeln.
Der Nebel hat inzwischen schon wieder zugelegt. Das mittelalterliche San Leo hat heute leider keinen Ausblick für uns auf seine hoch oben über dem Dorf gelegene Burg. Sehr schade. Dafür bekommen wir wunderbar warmen Kaffee und ein Schokocroissant. Das nehm‘ ich auch gern, bevor wir uns wieder aufs Rad schwingen. Aber fürs nächste Mal würde ich dann gerne schon einmal Ausblick vorbestellen. Danke im Voraus!
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Ein bisschen vermisse ich an den langen Anstiegen meine 34-34-Übersetzung auf meinem Trek Émonda – mit 34-28 grenzt meine Trittfrequenz hier ein bisschen an Tierquälerei. Aber hilft ja nix, wer was sehen will, muss treten. Und tatsächlich, es lohnt sich! Der Nebel reißt ein bisschen auf, man sieht immer mehr von den sanft geschwungenen Hügeln, den klar strukturierten Weinbergen, den Herbstfarben, den kleinen Orten, die sich an die Hügel schmiegen. Aha, so sieht das hier also aus, wie schön! Warum versteckt man sowas denn nur?
Nun noch der letzte Anstieg hinauf, zurück Richtung Altstadt – und schon ist unsere San Marino Cycling Experience vorüber, zumindest der Teil auf dem Rad. Natürlich lassen wir uns das leckere Abendessen nicht entgehen, feiern die tolle Zeit und damit der Abschied von San Marino nicht gar so schwer fällt, haben wir Wein, Süßes und Amaretto im Gepäck für die Heimreise. Aber wir brauchen auf jeden Fall Nachschub. Bald. Außerdem habe ich mit San Marino jetzt ohnehin eine offene Rechnung: Eine Tour ohne Nebel steht immer noch auf meiner Bucket List. Bist Du dabei? 🙂
Für wen ist ein Rennradurlaub in San Marino empfehlenswert?
Prinzipiell ist San Marino als Urlaubslocation jedem zu empfehlen. Die historische Altstadt, die Landschaft mit dem Gegensatz von Meerblick und steil aufragenden Hügeln, das wunderbare Essen – man kann hier wirklich nichts verkehrt machen. Um den kleinen Staat richtig würdigen zu können, sollte man am besten eine Stadtführung mitmachen. Die Eigenheiten der san-marineser Geschichte sind bemerkenswert und das spiegelt sich in den sehenswerten Gebäuden wider.
In Sachen Radfahren ist San Marino eher kein klassischer Ort für ein Wintertrainingslager – außer der Saisonhöhepunkt liegt früh im Jahr. Denn hier gibts richtig Höhenmeter zu erklimmen, in dieser Gegend brachte sich Pantani in Form für die großen Rundfahrten – „Il carpegna mi basta“, der Carpegna, ein Anstieg nahe San Marino, reichte ihm zur Vorbereitung für seine Siege. San Marino eignet sich perfekt zum Klettertraining oder für anspruchsvolle Genießertouren. Eher kein Terrain für Anfänger, zu bedenken ist: Je näher die eigene Unterkunft an der historischen Altstadt auf dem Monte Titano ist, desto anspruchsvoller wird der letzte Anstieg jeder Tour. Denn der tiefste Punkt des Kleinstaats liegt auf 55, der höchste auf 739 Metern über dem Meer!
Was Du bei einem Leihrad in San Marino beachten solltest
Gerade Flachlandtiroler und alle, die bisher noch nicht so fleißig Höhenmeter gesammelt haben, sollten beim Leihrad in San Marino ein paar Punkte beachten: Wenn Du noch nicht so viel Erfahrung bei Abfahrten hast, dann sind Scheibenbremsen zu empfehlen, denn die Abfahrten sind lang und manchmal auch recht steil. Und wer (noch) keine Bergziege ist, sollte auf eine geeignete Übersetzung achten. Denn mit Heldenkurbel und 25er Ritzel hat man recht wenig Freude – ich hab meine tolle 34-34-Übersetzung am Trek Émonda jedenfalls sehr vermisst auf meinem Fondriest-Leihrad mit 34-28.
Hotels für Rennradfahrer in San Marino
- Grand Hotel San Marino
Das Grand Hotel am Eingang zur San Marineser Altstadt ist nicht nur eine wirklich repräsentative Unterkunft, sondern auch eine sehr herzliche, in der man als durch die Lobby klickernder Radfahrer in voller Montur bestimmt nicht schief vom Personal beäugt wird. General Manager Daniel Terranova hat uns direkt eingefangen mit seiner unglaublichen Gastfreundschaft und seiner Fähigkeit, innerhalb kürzester Zeit eine Lösung für alle Widrigkeiten zu finden. Eine sehr angenehme Atmosphäre und ein toller Fahrradkeller mit einer Grundausstattung an Werkzeug. Zudem die perfekte Lage, um die historische Altstadt zu erkunden. - Garden Village
Für alle, die für Ihren Aufenthalt in San Marino eigene Chalets, Camping oder Glamping (also Edelcamping im Bungalow) einem Hotelaufenthalt vorziehen, ist das Garden Village in San Marino die richtige Anlaufstelle. Chef Paolo kümmert sich rührend um das Wohlergehen seiner Gäste und für das leibliche Wohl gibt es ein wirklich empfehlenswertes Restaurant auf dem Gelände (für Euch getestet!). Die Fahrräder finden hier natürlich auch ihren Platz, auch Leihräder sowie ein umfassender Service rund ums Rad sind verfügbar. - Palace Hotel
Das Palace Hotel ist das tiefstgelegene Hotel, das wir in San Marino kennenlernten – hier ist der tägliche Weg zum Hotel also am wenigsten beschwerlich, wenn man von der Radtour zurückkehrt. Das Palace Hotel ist vielfältig, es gibt sowohl Räume für (Business-)Veranstaltungen als auch einen Spa-Bereich mit Sauna, Dampf- und Schwimmbad. Wie mir Mitarbeiter Matteo (selbst begeisterter Radfahrer) verriet, wurde auch hier fleißig am nagelneuen Radkeller gebastelt, damit sich radfahrende Gäste rundum wohl fühlen können. - Hotel La Grotta
Klein, aber fein: Viel authentischer als das Hotel La Grotta geht eigentlich nicht in San Marino. Die Unterkunft liegt direkt in der Altstadt, nicht einmal 2 Gehminuten von der Piazza della Libertá entfernt. Das Hotel ist seit Jahrzehnten in Familienbesitz, Chefin Marcella ist eine echte San-Marineserin und ein wirkliches Goldstück. Mit einem eigenen Fahrradkeller kann das Altstadthotel leider nicht dienen, jedoch bestehen hier Kooperationen mit umliegenden Hotels, sodass auch Radfahrer sich hier rundum wohlfühlen können. - Hotel iDesign
Hier durften der beste Mann der Welt und ich während unseres Trips nach San Marino gastieren. Das Hotel ist stylisch gestaltet, der Chef Francesco und seine Angestellten sind herzensgute Menschen, es gibt einen nagelneuen Fahrradkeller und die Zimmer sind teilweise sogar mit einem Whirlpool ausgestattet. Ziemlich cool, oder? Darüber hinaus ist der Blick hinunter ins italienische Flachland atemberaubend uuund noch ein Pluspunkt: Das iDesign-Hotel liegt nicht ganz oben am Berg, man muss also nicht ganz so viel hochstrampeln am Ende der Tour. 🙂
Transparenzhinweis: Alle Kosten der Reise wurden von “San Marino Cycling Experience“ und der Tourismusbehörde der Republik San Marino übernommen.
Carolyn Ott-Friesl
Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
Mehr über mich...
Meine Ausrüstung:
Helm* - Brille* - Bluetooth-Kopfhörer* - Radsportbekleidung* - Radsportcomputer*
2 Gedanken zu “San Marino mit dem Rennrad: Kletterparadies für Genießer”
Super Bericht – super Test der kleinen Republik aus Velominatoren Sicht. Aber so wie Du es beschreibst, habe ich Lust bekommen, San Marino zu besuchen – mit oder ohne Velo. Du hast eine muntere und nette „Schreibe“!
Grüsse aus Berlin