Buchtipp: „Dominik Nerz – Gestürzt: Eine Geschichte aus dem Radsport“

Wo ist Dominik Nerz falsch abgebogen? Das lässt sich wahrscheinlich nicht mehr rekonstruieren, es waren wahrscheinlich einfach zu viele Kreuzungen mit ungünstigen Entscheidungen, als dass diese Radsportgeschichte noch ein gutes Ende hätte finden können.

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Michael Ostermann erzählt im Buch „Gestürzt“ die Geschichte von Dominik Nerz. Der galt als eine der größten Radsporthoffnungen in Deutschland, bevor er irgendwann recht plötzlich von der Bildfläche verschwand. Er präsentiert sich früh als herausragendes Klettertalent, später auch noch als Rundfahrertyp. Er regeneriert auf dreiwöchigen Rundfahrten dann, wenn andere schon längst alle Reserven verschossen haben. Er gilt zeitweise als der neue Jan Ullrich, als Hoffnungsträger für die Rettung des gesamten deutschen Profiradsports.

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Schmerz ist keine Ausrede

Die Karriere von Dominik Nerz beginnt – symbolträchtig – mit einem Sturz im ersten Rennen. Was er daraus lernt? Es muss immer weiter gehen. Schmerz ist kein Kriterium bei der Entscheidung, weiterzufahren oder nicht. Solange man noch auf sein Rad steigen kann, gibt es keine Ausreden für Trainer, sportliche Leiter und nicht zuletzt die Fans.

Dominik Nerz wird aus seiner behüteten Welt im Allgäu früh in den internationalen Profiradsport hineingeschmissen. Aufgrund der Dopingsünden der Vorgänger sind in Deutschland die Strukturen eingebrochen, die dazu da sind, aufstrebende Talente wie ihn angemessen an eine Profikarriere heranzuführen. Stattdessen wechselt Nerz nach nur einem Jahr in der U23 in die ProTour zu Liquigas nach Italien. Hier wird die Grundlage gelegt für sein zerstörerisches Verhältnis zu seinem Körpergewicht, das ihn später beinahe umbringen sollte. Gleichzeitig blitzt hier sein Potential auf, dass ihn einige Zeit danach zum Hoffnungsträger macht.

Die Katastrophe nimmt Fahrt auf, als Dominik Nerz beim Team Bora-Argon18 die Last aufgebürdet bekommt, Radsportdeutschland im Alleingang zu begeistern. Vom relativen Schattendasein des talentierten Edelhelfers direkt hinein ins gleißende Scheinwerferlicht. Top Ten bei der Tour de France – so lautet die überhöhte Erwartung der Öffentlichkeit, die vom Team öffentlichkeitswirksam geschürt wird. Nerz ist das größte Talent im deutschen Radsport, der Druck presst ihm jedoch allen Selbstwert, alle Energie und die Lebenskräfte heraus.

Doch damit nicht genug. Stürze auf den Kopf kurz vor und während der Tour besiegeln das Scheitern des großen Plans. Zum Verhängnis wird Nerz die „Immer weiter“-Mentalität, die im Radsport viel zu oft glorifiziert wird. Bloß nichts von der Bewusstlosigkeit nach dem Sturz sagen, bloß nichts herausdringen lassen von den anhaltenden Kopfschmerzen. Es muss doch weitergehen. Doch mit gerade einmal 27 Jahren geht es nicht mehr weiter. Dann, wenn andere Karrieren den Zenit erreichen.

Akribische Spurensuche

Warum mich dieses Buch gleich mitgenommen hat: Michael Ostermann kommt nah ran, aber nicht zu nah. Es ist kein Buch in der „Ich“-Form. Ostermann lässt Nerz und seine Weggefährten zu Wort kommen, und schafft es mit kritischer Distanz, den Weg nachzuzeichnen. Er lässt Eindrücke stehen und unterfüttert Anderes mit wissenschaftlichem Hintergrund und akribischer Spurensuche. „Gestürzt“ könnte ein Heldenepos über das Leiden im Radsport sein, liest sich aber wie ein Plädoyer gegen die Verwertungsmaschine Profiradsport. Der Schmerz, der wohl im Leben jedes Profisportlers allgegenwärtig ist, wird nicht glorifiziert. Wo ist die Schwelle, an der der Schmerz nicht mehr einem Ziel dient, sondern nur noch zerstörerisch wirkt?

Am Ende steht die Frage: War Dominik Nerz zu sensibel für den Profiradsport oder ist der Profiradsport zu unmenschlich? Und gibt es noch mehr Talente, bei denen wir übersehen, dass sie am Aushalten des Schmerzes kaputt gehen? Man kann nur hoffen, dass Fahrer, Teams, Medien und Fans aus diesem Buch lernen – dass es nicht immer richtig ist, wenn die Show einfach weitergeht.

Buch Dominik Nerz Gestürzt

Titel: „Dominik Nerz – Gestürzt: Eine Geschichte aus dem Radsport“
Autor: Michael Ostermann
Kategorie: Biographie
Verlag: Covadonga
ISBN-13: 978-3957260376
Preis: 16,80 Euro
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Carolyn Ott-Friesl

Seit fast 20 Jahren auf dem Rennrad unterwegs - nicht viel, nicht schnell, aber mit Leidenschaft. Seit 2014 Bloggerin auf Ciclista.net
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