Emilia Romagna mit dem Rennrad: Auf Marco Pantanis Spuren in Cesenatico

Pressereise – Eine Anekdote besagt, dass Marco Pantani im Sommer immer ohne Proviant und Geld zum Training in die Hügel der Emilia Romagna aufgebrochen ist. Für den Durst gibt es zahlreiche Brunnen, an denen kühles Wasser gezapft werden kann. Und am Wegesrand gibt es Pfirsiche, Kirschen und viele andere Früchte, um den Hunger zu stillen.

Solche Legenden gibt es rund um Cesenatico viele, denn hier ist die Erinnerung an Marco Pantani sehr lebendig. Ex-Profi Alessandro Malaguti, mein Guide für die Tage in der Emilia Romagna, erzählt, dass in seiner Generation alle wegen Marco Pantani angefangen haben, Rad zu fahren. Klar! War ja in Deutschland mit Jan Ullrich genauso. Nur, dass der eine 14 Jahre nach seinem Tod in Italien immer noch als Held gefeiert wird und der andere, begleitet von Schadenfreude, Häme und Mitleid in Medien und sozialen Netzwerken, (hoffentlich erfolgreich) seinen Entzug durchzieht.


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Rennradfahren in der Emilia Romagna

Zusammen mit Alessandro darf ich einige Tage lang Marco Pantanis Revier, die Emilia Romagna, mit dem Rennrad erkunden und den Gran Fondo Marco Pantani unter die Räder nehmen, eingeladen von Terrabici, einem Zusammenschluss von Hotels der Region. Leider nicht mit meinem eigenen Trek Émonda SL 7, denn das hat leider den Hinflug nicht überlebt. Die Gabel abgebrochen – kein schöner Start in diesen Kurzurlaub. Andrea Manusia, der Organisator des Trips von Terrabici, ist jedoch auf Zack und organisiert mir direkt ein Pinarello vom Hotel Lungomare als Ersatzmaschine – nicht schlecht, so kleine Räder findet man nicht immer auf Anhieb! Wenn ich schon nicht mit meinem Schätzchen fahren darf, dann ist das doch zumindest ein kleiner Trost.

Letzte Handgriffe – Alessandro stellt mein Leihrad auf mich ein.

Am Tag der ersten Tour genieße ich das Frühstück im Grand Hotel Cesenatico und fühle mich halbwegs gerüstet für die Tour mit Alessandro. Er war bis 2016 Profi, hat die Route Adélie 2013 gewonnen, fuhr 2015 den Giro d’Italia mit und landete da beim Etappenfinish in seiner Heimatstadt Forlí sogar auf dem Podium. Um kurz nach neun taucht er auf, sicherlich ein paar Kilo mehr auf den Rippen als zu Profizeiten, aber die Beine sehen immer noch ziemlich profimäßig aus. Na, hoffentlich lässt er Gnade walten! Wir stellen noch schnell das Leihrad auf mich ein und schon gehts los. Ich hänge mich in seinen Windschatten und er führt mich hinaus aus Cesenatico.Vorbei am Haus der Pantanis und immer weiter weg vom Meer, hin zu den Hügeln im Süden der Emilia Romagna, den Ausläufern der Apenninen. Ein kurzer Espresso in Cesena und weiter geht es auf ruhigen Nebenstraßen fast ohne Verkehr.

Cesena

Es ist schon richtig warm und ich bin froh, dass ich morgens brav Sonnencreme aufgetragen habe. Und dass es überall Brunnen gibt, an denen man mal eben seine Trinkflasche mit kühlem Wasser auffüllen kann. Auffüllen ist nötig, denn ab jetzt geht es erst einmal bergauf –  bestimmt mehr als 10% Steigung hats hier. „Hier bin ich früher mit dem großen Kettenblatt hoch“, erklärt Alessandro. Na bravo, so würde ich keine drei Meter weit kommen. Aber ich will mir keine Blöße geben, so lange kanns ja hier nicht bergauf gehen, also tapfer weiterkurbeln. Nach einigem Ab und viel mehr Auf erreichen wir Bertinoro mit dem sehenswerten Palazzo Ordelaffi und genießen einen tollen Blick über die südliche Emilia Romagna.

Ausblick von Bertinoro über die Emilia Romagna

Jetzt aber los, wir haben einen Termin zum Lunch in Fratta Terme, da müssten wir unbedingt den Rotwein probieren, sagt Alessandro. Es geht hinab, in flowigen Kurven,  bis wir Fratta Terme erreichen und das dortige Grand Hotel. Die gebürtige Südtirolerin Manuela Weissteiner empfängt uns in dem historischen Thermenhotel, zeigt uns Wellnessbereich und Speisesaal und erklärt die Möglichkeiten für Radsportler in der Region. Vor allem fürs Frühjahrstrainingslager und zu den Gran Fondos checken die Radler im Grand Hotel ein, erzählt Manuela, nachdem wir mit einem Glas Rotwein angestoßen haben – Alessandro hat nicht zu viel versprochen. Zum Abschluss gibt es noch einen leckeren, hausgemachten Schokoladenlikör – ich hoffe, es gibt auf den letzten 30 Kilometern wirklich keine Hügel mehr. „Nur noch bergab“, sagt mein Guide lachend. Na, wehe wenn nicht!

Manuela Weissteiner – Grand Hotel Fratta Terme

Wir brechen auf, zur entspannten Heimfahrt? Nicht ganz. Wir erspähen dunkle Gewitterwolken mit Kurs auf uns. Na gut, dann also los – hinein in Ales Windschatten und jenseits der 30 km/h dahin. Ohje, meine Beine jammern. Langsam gebe ich auf und platze immer weiter weg von seinem Hinterrad – aber wir machen zu meinem Glück noch einen kurzen Stopp bei den Salinen von Cervia. Das sind seichte Wasserbecken, aus denen schon seit der Römerzeit Salz gewonnen wird. Ich sehe sogar Flamingos in den Salinen herumstaksen, wie cool! Wir kehren nach 80 Kilometern genau zum richtigen Zeitpunkt nach Cesenatico zurück, wenige Minuten später beginnt es zu tröpfeln.

Salinen von Cervia – irgendwo ganz klein sind Flamingos drauf!

Erstmal duschen und danach steht noch das Italian Bike Festival in Rimini auf dem Programm, eine Art Mini-Outdoor-Eurobike über drei Tage mit vielen großen Herstellern und Möglichkeiten für eine Testfahrt – wehmütig schleiche ich am Trek-Stand um das Émonda herum, mein eigenes steht ja leider kaputt im Hotelzimmer herum. Dazu lerne ich Manuel von Ethic Sports kennen, das Unternehmen kommt aus der Region und stellt garantiert dopingfreie Sporternährung her. Ein paar der Produkte retten mich auf den Touren in der Emilia Romagna vor dem Hungerast. Vielen Dank dafür!

Italian Bike Festival
Trek Emonda – aber nur fast die richtige Gabel.

Später beim Abendessen gibt es dann noch eine faustdicke Überraschung. Organisator Andrea verkündet eine Planänderung: Zwar gibt es morgen noch einmal eine Radtour, die verkürzen wir aber, um nachmittags mit Mario Cipollini radzufahren. Bitte was?

Der Rubikon wird überschritten

Hier wird der Rubikon überschritten.

Bei der Rennradtour am nächsten Tag wird die Gruppe größer: Thomas vom französischen Cyclist-Magazin und Andrea Manusia starten mit Alessandro und mir morgens zur zweiten Tour. Wir fahren auf bezaubernden, wenn auch öfter mal leider löchrigen Nebenstraßen und rollen Richtung Berge am Horizont. Wir überschreiten, – na gut – überfahren den Rubikon in Savignano, direkt unter den wachsamen Augen der Cäsar-Statue an der Brücke.

Serpentinen nach Sogliano al Rubicone
Ein Espresso geht immer.
Schöne Altstadt in Sogliano.

Danach geht es stetig bergauf entlang des Rubicone-Tals, wir schlängeln uns durch Pfirsichfelder und Zypressenalleen, und schrauben uns einige Serpentinen hinauf nach Sogliano al Rubicone, ein traumhafter Ausblick ist dabei unser stetiger Begleiter. Oben angekommen halten wir für einen schnellen Espresso. Danach geht es fix hinab, zurück Richtung Cesenatico. Cipo wartet schließlich auf uns!

In Cesenatico kehren wir im Hotel Lungomare ein für ein kleines Mittagessen. Von hier aus soll die Ausfahrt mit Cipollini und weiteren bekannten Namen stattfinden, zum Gedenken an Marco Pantanis Doppelerfolg bei Giro und Tour im Jahr 1998, vor genau 20 Jahren. Bereits eine halbe Stunde vor Abfahrt versammelt sich ein Dutzend Pirata-Lookalikes vor dem Hotel. Stilecht mit Piratentuch, Bianchifahrrad und Mercatone-Uno-Kit. Komplettiert wird das Aufgebot von Ex-Profis und Pantani-Weggefährten wie Wladimir Belli, Evgenij Berzin oder Marco Velo.

Pirata-Loolalikes.
Tonina herzt die Nachwuchs-Pantanis.
Französischer Pantani-Fan – auch er wird von Tonina begrüßt.
Gruppenbild mit Radsporthelden.

Zwischen den Pirata-Fans laufen Tonina und Paolo Pantani, Marcos Eltern, herum, Mama Tonina herzt alle Bekannten und solche, die sich als besonders begeisterte Pantani-Fans zeigen. Mario Cipollini ist inzwischen auch zur Gruppe gestoßen (unübersehbar – was für ein massives Muskelpaket, der Mann!). Noch ein Foto mit allen bekannten Gesichtern und schon geht es los. Mehr oder weniger geschlossen rapple ich mit etwa 100 Radfahrern durch Kreisverkehre, über Schlaglöcher und über Autobahnbrücken. Schließlich erreichen wir den Friedhof von Cesenatico, wo die Pantanis ihrem Marco ein Denkmal gebaut haben.

Stylisches Begleitfahrzeug für die Pantani-Gedächtnisfahrt!

Wir stellen unsere Räder außen an die Friedhofsmauer und klicken uns mit den Radschuhen durch die Gräber, ganz nach hinten, wo Pantanis letzte, eindrucksvolle Ruhestätte liegt. Außen schraubt sich um das gemauerte Familiengrab ein Absatz hinauf, einer Straße gleich, die einen Berg hinaufführt. Innen thront eine Büste von Marco Pantani vor Fotos seiner größten Erfolge und über zahlreichen Blumen und kleinen Geschenken an den verlorenen Sohn von Cesenatico. Darunter steht: „Sul gradino piú alto del podio … per sempre.“ – Auf der höchsten Stufe des Podiums. Für immer. Eine echte Pilgerstätte für die Tifosi des Pirata und ein würdiger Platz für einen Volkshelden.

Das Mausoleum der Famiglia Pantani.
Pantani-Büste im Inneren des Familiengrabs.

Die Promis legen Blumen nieder, alle Radfahrer gehen kurz hinein in das Mausoleum, bekreuzigen sich und klackern wieder hinaus. Ich halte mich recht weit hinten und bin eine der letzten, die hineingehen. Mit mir betritt Tonina Pantani das Familiengrab, sie ist geschäftig, kümmert sich um welke Blumen, drapiert neue Blumen ordentlich hin und klopft drei Mal an das Marmorgrab, als ob sie ihrem Sohn kurz „Hallo“ sagen möchte.

Die Radfahrerprozession setzt sich langsam wieder in Bewegung. Noch ein Fotostopp am Spazio Pantani, dann löst sich die Gruppe in alle Himmelsrichtungen auf. Der Spazio Pantani ist ein Museum direkt am Bahnhof von Cesenatico, das sich ganz der Karriere von Marco Pantani gewidmet hat. Seine Trikots, die wichtigsten Rennräder, akribisch über die Zeit gesammelte Zeitungsartikel von seiner Jugend bis zum Ende seines Lebens, Briefe an ihn nach seinem Tod. Auf TV-Geräten flimmern die Aufnahmen, auf denen der Pirat seine berühmten Attacken fährt.

Spazio Pantani – Museum in Cesenatico

Cesenatico ist eine Stadt, die wirklich um ihren Helden trauert. Hinter der Heldenverehrung steckt natürlich auch Marketing, aber viel mehr sehe ich hinter den vielen Pantani-Erinnerungen den verzweifelten Versuch einer Mutter, ihren Sohn so lange wie möglich lebendig zu halten und so die Katastrophe zu verarbeiten. Marco Casadio Strozzi, der den Gran Fondo Marco Pantani mitorganisiert, kann ein Lied davon singen, wie sehr Tonina Pantani immer noch involviert ist in jedes Event, das den Namen ihres Sohnes trägt. Beim Abendessen im Zentrum von Cesenatico rollt er mit den Augen – „Tonina ist um die 70 und sie macht sich so viel Stress!“

Zum Wochenende der Pantanissima, wie der Gran Fondo Marco Pantani auch genannt wird, gibt es viele Aktionen, um an den Giro- und Toursieger von 1998 zu erinnern. Sogar ein Galaabend ihm zu Ehren wird am Vorabend des Gran Fondo veranstaltet. Cesenatico ist nicht nur radsportverrückt, Cesenatico ist noch mehr Pantani-verrückt.

Die Emilia Romagna zeigte sich mir nicht nur als toller Ort zum Radfahren und um auf Pantanis Spuren zu wandeln, auch die Gastfreundschaft und Diversität hat mich beeindruckt. Was ich von den Familienurlauben als Kind immer nur als Strand, Meer und Gelato im Kopf hatte, eröffnete sich mir als abwechslungsreiche, kulinarisch und kulturell spannende Region.

Sprizz und Piadine – allein dafür lohnt es sich, in die Emilia Romagna zu kommen!

Ich komme sicher wieder, vielleicht für ein Frühjahrstrainingslager, vielleicht traue ich mich auch mal an die Nove Colli. Mit dem Gran Fondo Marco Pantani konnte ich mir ja schon  einmal ein Bild von der Radmarathonszene in der Emilia Romagna machen – aber das ist eine andere Geschichte…


Hotels für Rennradfahrer

  • Hotel Lungomare Cesenatico
    Hier wird Radsport gelebt: ein großer Radkeller, geführte Touren in verschiedenen Leistungsklassen, Sonderaktionen mit prominenten Gästen wie Paolo Savoldelli – hier gibt es alles, was das Radfahrerherz begehrt. Silvia Pasolini empfängt ihre Gäste auch auf Deutsch und hat viele Tipps und Anekdoten parat für die Radurlauber.
  • Grand Hotel Fratta Terme
    Das Grand Hotel Fratta Terme ist ein Wellnesshotel, das alles mitbringt, was Sportler brauchen. Einen großen Wellnessbereich, gutes Essen und eine tolle Lage in der Emilia Romagna. Im Frühjahr und zu Radveranstaltungen gibt es immer wieder Sonderaktionen für die radelnden Gäste. Das Grand Hotel Terme Roseo gehört zum gleichen Betreiber.
  • Grand Hotel Cesenatico
    Hier verbrachte ich die vier Nächte in Cesenatico. Das Hotel hat mich sehr beeindruckt mit zuvorkommendem und freundlichem Personal, ein sehr herzlicher Familienbetrieb in gehobenem Ambiente. Das Grand Hotel Cesenatico ist zwar nicht direkt ein Bike-Hotel, jedoch geben die Mitarbeiter gerne Tipps und Hilfestellung zu Radverleihern und helfen auch mal mit, wenn das Pedal am Rennrad klemmt 😉 (Danke nochmal!)  Mein Rennrad durfte ich ohne Murren mit aufs Zimmer nehmen.
Grand Hotel Cesenatico

Rennradtouren

Bei den Touren kann man sich natürlich von den zahlreichen Radveranstaltungen in der Region inspirieren lassen. Nove Colli, Gran Fondo Marco Pantani, Gran Fondo Riccione… überall gibt es tolle Strecken zu entdecken. Die Herausforderung ist, die Nebenstraßen zu finden, die zwar vielleicht nicht immer die Qualität deutscher Straßen haben, aber dafür fast ohne Verkehr zu befahren sind.

Pantani in und um Cesenatico

Wie weit die Heldenverehrung in Cesenatico geht? Im Stadtzentrum gibt es eine lebensgroße Pantani-Statue, ein Pantani-Museum, das Pantani-Grab ist immer mit frischen Blumen und kleinen Geschenken an den Pirata geschmückt und die Hügel der umliegenden Umgebung haben nicht selten einen Namenszusatz wie „Cima Pantani“, wenn der Pirat hier besonders oft trainiert haben soll. Natürlich gibt es auch ein Pantani-Kinderteam und die Fondazione Marco Pantani, eine Stiftung, die karitative Zwecke verfolgt und beispielsweise Krankenwagen kauft.

  • Spazio Pantani
    Museum am Bahnhof in Cesenatico, der Eintritt kostet 5 Euro.
    Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag, 9:00 – 12:30 Uhr und 15:30 – 19:00 Uhr

     

Spazio Pantani
  • Mausoleum Famiglia Pantani
    Das Grab von Marco Pantani ist ein emotionales Denkmal, das es sich zu sehen lohnt. Zu finden im Friedhof von Cesenatico.
  • Statue
    Zum zehnten Jahrestag von Marco Pantanis Tod wurde im Stadtzentrum eine Bronzestatue aufgestellt.
  • Cima Pantani
    Der Anstieg nach Montevecchio wird auch „Cima Pantani“ genannt. Der bis zu 17% steile Anstieg soll vom Piraten oft im Training befahren worden sein. Der Anstieg ist voll mit Straßenmalereien, oben auf der Spitze steht ein Pantani-Denkmal.

  • Transparenzhinweis: Alle Kosten der Reise wurden von Terrabici übernommen.


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